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Teure Demokratie

Nächste Woche darf das Wahlvolk der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers eigene Direktoriumskandidaten aufstellen

von CHRISTIAN AHLERT

Als am 1. August die Zentrale der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann) im sonnigen Kalifornien ihre Kandidaten für die erste weltweite Onlinewahl der Internetnutzer nominierte, war die Enttäuschung groß: Die Liste für Europa enthält fast nur Vertreter der Wirtschaft.

Die Icann-Wahlen drohen zum diktatorischen Ritual zu werden. 5 von 18 Direktoren werden im Oktober gewählt, 35.000 Europäer haben sich in die Wählerliste eingetragen, über 15.000 kommen aus Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Deutscher gewinnt, ist groß. Die Icann hat Winfried Schüller aufgestellt, der den Bereich „IP-Services“ bei der Deutschen Telekom leitet und auch Projektleiter für die Internetaktivitäten der nächsten Generation ist. Sein Hochschulabschluss eines „Master of Business Administration“ und sein Job als Manager beim größten europäischen Internet-Provider sollen ihn offenbar zum Interessenvertreter der europäischen Netzbürger qualifizieren.

Zu einer offiziellen Stellungnahme war Winfied Schüller bisher nicht bereit, die Deutsche Telekom lässt verlauten: „Herr Schüller strebt das Amt als Privatmann an“ – aber natürlich sei man bereit, ihm „jede Unterstützung“ zukommen zu lassen. Daran ließ es die Telekom nicht fehlen. Sie hat Icann finanziell unterstützt, über T-Online auch schon einmal ihre Kunden auf die Wahl hingewiesen und unter www.icann-forum ein Website eingerichtet. Lobenswert, doch findet man dort nur nach langem Suchen einen dezenten Hinweis auf den Geldgeber.

Ob damit der demokratische Grundsatz der Chancengleichheit gewahrt ist, muss bezweifelt werden. Icann hat bereits verschiedene Unterorganisationen für Industrieinteressen, die allgemeine Wahl der Internetnutzer sollte eigentlich politisch und wirtschaftlich unabhängigen Kandidaten vorbehalten bleiben. Auch die anderen für Europa Nominierten erfüllen dieses Kriterium nicht: Maria Livanos Cattaui – die einzige Frau unter den Kandidaten – ist Generalsekretärin der Internationalen Wirtschaftskammer. Olivier Muron ist das französische Gegenstück zu Winfried Schüller. Seit 1998 ist er im Forschungs- und Entwicklungsbereich von France Télécom tätig, mit den Schwerpunkten Internet Protocol (IP) und E-Commerce. Die Vita von Alf Hansen, der an der Universität Trondheim Informatik lehrt und die norwegische Domainverwaltung betreut, ist eher farblos, der Computerwissenschaftler Oliver Popov aus Makedonien dagegen fällt durch seine Mitgliedschaft im Netzwerkbeirat der Nato auf – nicht unbedingt ein Ausweis basisdemokratischer Volksnähe.

Ab 14. August können jedoch auch Kandidaten aus der Mitte des Wahlvolks aufgestellt werden. Nach Angaben der Wirtschaftswoche haben sich mehrere deutsche Industrieunternehmen auf den Berliner Informatiker Axel Zerdick als Gegenkandidaten des auch dort ungeliebten Telekom-Vertreters Schüller geeinigt. Zerdick betreute zuletzt die UMTS-Auktion für die Bonner Regulierungsbehörde.

Der Idee einer demokratischen Kontrolle durch die Nutzer entspräche wohl noch besser Andy Müller-Maghun, Sprecher des Chaos Computer Clubs. Auch er ist bereit, zu kandidieren, weil er der Meinung ist, dass „die Entscheidungen von Icann dem Außenstehenden zunächst zwar rein technisch erscheinen, aber sie wichtige Entscheidungen treffen wird, die bestimmen, wie die Informationsgesellschaft in Zukunft aussieht“.

Ein Problem allerdings steht Maghuns Kandidatur bisher im Wege. Der Posten des Icann-Direktors ist ein Ehrenamt – nur die Reisen zu den Treffen der Internetverwaltung werden bezahlt. Ein von der Industrie unabhängier Sponsor ist noch nicht gefunden. Im Gespräch ist aber die Gründung einer Stiftung, die das Überleben eines echten Vertreters der Netz-User bei der Icann finanziert.

Immerhin hat die wenig überzeugende Kandidatenliste der Icann das Interesse an besseren Alternativen geweckt. Etliche Informatikprofessoren an deutschen Universitäten erwägen, ebenfalls in den Ring zu steigen, darunter Dieter Otten, der an der Universität Osnabrück bereits Internetwahlen für Studenten organisiert hat. Auch akademische Kandidaten stehen jedoch vor der ungelösten Finanzierungsfrage, zumal sie ja nicht nur deutsche Interessen vertreten sollen.

Nur Amerika hat es mal wieder besser. Die Icann weiß sehr genau, dass sie unter den amerikanischen Netzaktivisten weniger Zustimmung findet als auf ihren internationalen Konferenzen. Vor allem zu Hause muss sie sich legitimieren. Sie suchte nach anerkannten Persönlichkeiten, um ihre Unabhängigkeit von der US- Regierung wie auch der Industrielobby zu beweisen. Mit ihrem Kandidaten Larry Lessig für den Wahlkreis „Nordamerika“ hat sie eine hervorragende Wahl getroffen. Der Harvard-Jurist genießt seit seinem Buch „The Code is the Law“ hohes Ansehen als Verfechter eines Cyberspace der Nutzer. Nicht zuletzt trat er als prominenter, wenngleich differenzierter Kritiker des Icann-Projekts hervor. „Eine Organisation wie Icann kann ohne demokratische Kontrollinstanz gar nicht arbeiten“, sagte er letztes Jahr in einem Interview mit der taz. „Eine gut informierte Einflussnahme“ sei jedoch möglich und Icann könnte dann sogar als „Vollmacht für Mitgliederentscheidungen“ genutzt werden.

Christian_Ahlert@harvard.edu

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