: Mit frischem Mut zur Hässlichkeit
„Man macht sich angreifbar, wenn man solo ist“, findet die Kabarettistin Susanne Betancor und präsentiert ihr neues Programm „Damenbart“ als Drei-in-eins-Lösung: als Bühnenshow, als Buch und als CD. Helge Schneider, „einer der besten Jazzmusiker Deutschlands“, ist im Geiste immer mit dabei
von JENNI ZYLKA
Die Popette Betancor hat fast zu viel Talent für ihre Statur. Das ist zwar ein Satz, der am Anfang eines Porträts normalerweise noch nichts zu suchen hätte. Aber sei’s drum. Die Popette ist auch nicht mit normalen Kabarett- oder KünstlerInnen-Maßstäben zu (be)greifen.
Zunächst mal, woher sie kommt: Susanne Betancor, 36 Jahre, zierlich, gebürtige Ruhrgebietlerin, hochmusikalisch von Kindesbeinen an. Hat ein bisschen studiert, ein bisschen Nebenjobs gemacht und viel, viel Jazz gespielt, bevor sie sich als großer Helge-Schneider-Fan hocherfreut über ein Angebot zeigte, bei Helge Schneiders „Muttertag Five“ mitzuspielen. Und sie ist auch in Helges Video zu „Es gibt Reis“ zu sehen (die Kleine mit der Schüttel-dein-Haar-für-mich-Frisur und dem Bart).
Dann ein Umzug nach Berlin und jahrelange Mittäterschaft bei dem Theater College of hearts. Die Popette textet, komponiert, spielt und bedient Instrumente. 1995 geht sie mit dem Programm „Privat ist modern“ auf Solo-Tour. Auf dem Poster lächelt sie kokett, unter ihrer viel zierten „Koboldfrisur“ zieht sie die viel zitierten „beweglichen Augenbrauen“ hoch. Sie macht weiterhin mehrere Soloprogramme und kriegt mehrere Preise, unter anderem 1998 den Deutschen Kleinkunstpreis. Und jetzt das Programm „Damenbart“, mit dem sie plus gleichnamigem Buch und CD seit letztem Jahr auf Tournee ist.
Die Popette logiert in einer großen, gemütlichen, sehr bewohnt wirkenden Wohnung in Berlin. Auf dem hölzernen Esstisch stehen und liegen Parfümflaschen, Zwieback, „American Spirit“-Zigaretten und medikamentenähnliche Tablettenröhrchen. Da könnten zum Beispiel kleine grüne homöopathische Kügelchen drin sein. In dem Buch „Damenbart“ (Eichborn, 2000, 118 Seiten, 24,80 DM) geht es nämlich um ebensolche Kügelchen, die die Protagonistin Erna Keins von ihrer mysteriösen, homöopathisch angehauchten Kosmetikerin verschrieben bekommt, damit der urplötzlich unter der Nase gewucherte Damenbart wieder verschwindet. Erna Keins hat noch andere Probleme, sie schläft zum Beispiel ständig überall ein, und meistens wächst dabei auch noch der Bart. Im Laufe des Buches wird sie besagte Kügelchen schlucken, die nichts nützen, sondern eher schaden, sich von Berlin nach Bayern aufmachen, einen Mann im Hotel sitzen lassen, einen anziehenden bayerischen Volksschauspieler kennen lernen, sich einen Klebestreifen über das „Klettband“ kleben lassen, ihn wieder abreißen und trotz Bart einige Male küssen.
„Damenbart“ ist natürlich nicht einfach eine lustige Liebesgeschichte, so wie die Popette auch keine einfache lustige Kabarettistin ist. Es ist ein popettiges Buch, ein absurdes, teilweise surreales komisches Ding ohne traditionelles Happy End. „Alles, was ich mache, wird ein bisschen verquer“, sagt die kleine Halbspanierin mit ihrer wunderlichen, eigenwilligen Betonung. „Aber ich glaube, das Buch ist insgesamt gelungen.“ Und freut sich darüber, dass es vom Verlag in der Kategorie „Geschenkbuch“ eingeordnet wurde. Lisl Karstadt kommt drin vor, und das passt sehr gut. „Ich habe lange Zeit über Frauen und Humor nachgedacht“, sagt die Popette, die das Wort Popette erfunden hat, weil kein existierendes Etikett (Schauspielerin, Kabarettistin, Stand-up-Comedienne, Musikerin) ihr wirklich stand. „Dass Lisl Karstadt am lustigsten ist, wenn sie männliche Rollen spielt“, darüber zum Beispiel. „Dass Frauen einfach nicht so viel zu lachen haben.“ Und „um Humor zu entwickeln, braucht man Selbstbewusstsein. Selbstironie und Humor sind untrennbar!“ Das haben Frauen oft nicht. Oder nicht genug für Soloprojekte. „Man macht sich angreifbar, wenn man solo ist!“
Bevor sie genug Selbstbewusstsein entwickelt hatte, versuchte sie sich schon einmal bei einer weiblich besetzten Comedy-Sendung im Fernsehen. Ziemlich erfolglos, es gefiel ihr auch nicht. „Ich bin nicht fernsehkompatibel, und das ist gut so.“
Nur Bühne muss aber ebenfalls nicht sein. „Ich empfinde Touren als sehr anstrengend“, sagt sie und behauptet, dass das Buch „einfach so aus mir rausgequollen ist“. Als zweites Standbein. Teilweise hat sie nach den Auftritten geschrieben, angetütert, aber voller Elan. „Die Idee mit dem Bart hat natürlich viel mit Verkleiden zu tun, mit Mut zur Hässlichkeit.“ Sie schreibt übrigens schon am nächsten, „ich glaube, so richtig lustig wird das nicht“. Aber „Damenbart“ ist auch „vielleicht eher sperrig“, meint sie. „Wir werden sehen, wer es kauft ...“ Wenn man unbedingt vergleichen müsste, dann würde man den absurden Humor am ehesten noch in Simone Borowiaks „Baroness Bibi“ finden. Auch eine originär spaßige Dame.
Niemand erzählt komische Geschichten so komisch wie die Popette, ganz allein, klein auf den Theaterbrettern. Sie improvisiert, rechte Hand am Klavier, linke an der Trompete, singt von Ommas und Tauben, reißt hinterhältige Witzchen und wackelt mit den viel zitierten Augenbrauen in alle Richtungen.
Die Popette kann sich vorstellen, wenn alle Stricke reißen, eben wieder von ihrem musikalischem Talent zu leben. Sie spielt mehrere Instrumente und „kann immer komponieren“. Sie besucht begeistert Jazzkonzerte und bewundert Helge Schneider vor allem auch, „weil er so ein unglaublicher Jazzmusiker ist, einer der besten Deutschlands“. In ihrem Buch hat sie übrigens auf 21 von 118 Seiten ein Theaterstück entworfen, „Das Schwein der Sonnwaldbäuerin. Ein Einakter mit sieben Lichtwechseln. Für vier Darsteller und einen Beleuchter“.
Das lässt sich kaum noch mit bekanntem Humorverständnis einordnen. Es ist halt popettig. Einzigartig.
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