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Sitzen, gaffen – alles umsonst

■ Einfach draußen rumsitzen, die Menschheit an sich vorüber ziehenlassen und nichts tun – das funktioniert in Bremen nicht. Der Umsonstsitzer scheint unerwünscht, Straßenstühle und -bänke sind fest in Kneipenhand. Aber ein paar Plätzchen gibt es doch: gratis ausgesessen von Burkhard Straßmann und Laura Marina (Fotos)

Umsonst sitzen.

Ich bin übrigens für Gaffer. Für diesen Abschaum, der auf der Autobahn langsamer fährt, um zu sehen, was sich da wo wie auf der Gegenfahrbahn ineinander gebohrt hat. Für diese Widerlinge, die im Weg stehen, wenn's wo brennt. Die glotzen, wo sie sich ihrer Wege trollen sollten, um die Not handhabbar und im Hintergrund zu halten.

Ich denke, im Glotzer überlebt ein atavistisches Restchen an sympathetischem Menscheninteresse. Eine Art Blinddarm des Mitleidens am Schicksal anderer. Endgültig Untote und Verdammte nämlich sind die rasch Vorbeieilenden, die kalt Geradeausschauenden, die durch eisernes Weitermachen den Stau Verhindernden. Roboter. Rädchen. Dienstleister. Denn wo es brennt, knallt oder zuschlägt, da soll wenigstens ein Stau sein. Wenigstens!

Darum bin ich für die Gaffer. Eine unverzichtbare Vorübung für das Gaffen aber ist das Glotzen. Gemeint ist das Umherschweifenlassen der Blicke, ziellos, sinnlos, nutzlos, frei, während man stundenlang herumsitzt an Orten, wo Menschen, Autos, Fahrräder, Mopeds, Hunde oder sogar Nutzfahrzeuge in großer Stückzahl passieren. (Zwischenplädoyer: Die Kulturform des Glotzens ist natürlich das Glotzen mit geschlossenen Augen, ganz der Nase vertrauend. Dem Ohr. Und der Haut, der sonnenbeschienenen oder auch sturzregenbegossenen.)

Wer in Bremen dieser löblichen Tätigkeit nachgehen will, stößt schnell auf ein Übel, ja ein Grundübel: Sitzen kostet! Zwar stehen auf Bremer Straßen und Plätzen zusammengenommen so viele Stühle, wie sie in der ganzen Menschheitsgeschichte noch nie in einer einzigen Stadt gezählt wurden – doch allesamt wurden sie von Gastronomen hingestellt, um deren Wohlstand zu mehren. Wer dagegen an einem menschenvollen, regsamen Ort verharrt und sich denkt: „Ei, hier wäre ein hübscher Fleck zum Umherschweifenlassen der Blicke, hier will ich mich niederlassen für ein paar Stündchen und glotzen, gegebenenfalls sogar ein wenig gaffen“ – wer das denkt, hat sich fast immer geschnitten. In Bremen sitzt man im Bürgerpark oder in den Wallanlagen oder auf dem Friedhof oder an der Weser oder daheim, also, wo nichts los ist. Oder gegen Geld. Oder eben gar nicht.

Betrachten wir zunächst den Ort des Quirlens und des Transits par excellence, den Bahnhofsvorplatz. Den einzigen wirklichen Platz Bremens, was Ausdehnung, Perspektiven und Blickachsen angeht.

Wer hier das Treiben studieren möchte, wird stehen müssen. Zwar wurde ein merkwürdig rechteckiger Rasen vor dem Überseemuseum ausgerollt, dessen Begrenzung aus besetzbaren Steinblöcken besteht, doch wohin blickt das Auge, wenn nicht auf Rasen, Rasen, Rasen?

Das Treiben ist anderswo, ist auch nicht vor den Hotels „Zur Post“ und „Mercure“, wo aus unerfindlichen Gründen fünf Bänke stehen mit Blick wiederum auf Rasen oder gelegentlich auf die Straßenbahnlinie 10, die einem hier beinahe über die Füße fährt (Hunde dicht führen!).

Die gleichen Sitzbänke aus veredelten Lochblechen und die Sitzfläche unterbrechenden Querträgern (Marke Pennerfeind) warten an den überdachten Haltestellen der Straßenbahn auf Benutzer, die lieber auf Bus und Bahn als auf den Bahnhofsvorplatz blicken. Diesen Ort darf man als Glotzer getrost einfach vergessen.

Naheliegend für Menschen unserer Obsession wäre die Innenstadt. Aber ach! Söge- und Obernstraße, Passagenwerke und vollgerümpelte Plätzchen bieten dem Gratissitzer nichts, es sei denn, er könnte auf ein Schicksal als unschuldig arbeitslos Gewordener oder als Besitzer eines darbenden Zirkusponys durchgehen.

Wer die Rathausarkaden aufgrund der olfaktorischen Beeinträchtigung meidet und in seiner Kontemplation nicht von Domtreppenfegern und ihren Leierkastenmännern gestört werden möchte, muss penibel suchen. Das recht attraktive Markttreiben etwa lässt sich zur Not von Waldemar Ottos Neptunbrunnen aus bespähen, obwohl gerade dieser Ort meist von den Nutzfahrzeugen der Obst- und Käsehändler umstanden wird.

Vollends zugeparkt sind zur Marktzeit (und wann sonst wollte man hier sitzen?) ein paar Bänke vor der „Bremer Bank“. Akzeptable Plätze bieten die erhöhten Baumbeete vor der Deutschen Bank, auf deren gemauertem Saum man leidlich sitzen kann.

Ein zumindest überraschendes Plätzchen tut sich an der Ecke Schüsselkorb/Katharinenstraße neben der Fischgaststätte „Knurrhahn“ auf, wo eine Linde von einer runden Bank umringt wird. Leider muss man immer wieder auf einen klotzigen Baukörper namens „Commmerzbank“ blicken.

Am anderen Ende der City, an der Schlachte, kann man dem Leben entweder den Rücken zuwenden und sich auf den fetten Steinquadern des neugestalteten Ufers niederlassen. Oder eine der fünf Bänke (immerhin!) auf dem Schlachte-Bürgersteig auswählen. Eine davon hat übrigens dreisterweise die Gaststätte „Tafelhaus“ so innig in das eigene Möblement integriert, dass niemand auf die Idee käme, hier gratis sitzen zu können.

Wer schließlich — müde vom Suchen – ratlos vor dem Roland landet, weiß, was Bremen fehlt: ein vielfältig besetzbarer Brunnen mitten auf dem Marktplatz, wo heute dumme Pflastersteine „Weitergehen!“ mahnen.

Sagt man sich aber „Dunnerlüttich! Jetzt schau ich mal im notorisch lebhaften, Augenmenschen schon von jeher anziehenden Viertel nach, das wäre doch gelacht!“ – versinkt man alsbald gänzlich in Trübnis. Ein Platz, der nach öffentlichem Sitzmobiliar geradezu schreit, ist der Theatervorplatz. Hier ist eine Linde, hier fehlt aber genau die Rundbank, die am Schüsselkorb falsch rumsteht. Stattdessen nur kostenpflichtiges Sitzen vor dem „Theatro“. Und ein heruntergekommenes, wie vergessen wirkendes Bänkchen am Gebüsch des Kunsthallensees. Immerhin eine bequeme Bank vor der Villa Ichon mit vorbildlichem Ausblick auf die direkt davor stehenden parkenden Kleinwagen.

Vis-a-vis an der Contrescarpe wäre ein allerliebstes Plätzchen, und auch eine Kopie des von der Oberstraße bekannten Brünnleins mit Hundetränke ist schon da, und auch drei Linden wachsen! Doch dieser Platz gehört einem Briefkasten, einem Hydranten und mehreren Mopeds. Von hier an auswärts bis zur Lüneburger Straße existiert kein einziger bürgerlicher Gratissitzplatz mehr! Unbürgerlich sitzt man unter Schnapsdrosseln auf der Treppe zu Penny (was mal ein Kino war), unbequem daneben auf der großen und rechteckigen Bronze eines gewissen Cominotto (gestiftet vom – ha ha – „Deutschen Frauenbund für alkoholfreie Kultur“).

Nicht lange wird man voraussichtlich auf dem breiten Schaufenstersims des Haushaltsfachgeschäfts „Caesar“ sitzen, dessen Besitzer nicht gerade ein Prophet der Laisset-Faire-Theorie ist. Und eventuell nicht allzu kommod säße man unter den Punkbrüdern und ihren Zottelhunden am Sielwalleck auf dem Boden. Erst an der Haltestelle Sankt-Jürgen-Straße der Linien 2,3, und 10, dort, wo aufgrund eines Winkels zwischen Hamburger Straße und Am Schwarzen Meer ein Platz entstand, erst da sinkt man erschöpft auf eine Haltestellenbank.

Wobei deutlich die witzigsten Sitzgelegenheiten die beiden kleinen Sitze zwischen Pizza „Moritz“ und Spirituosen „Rüsselmüller“ sind. Sie erinnern von Design und Farbgebung nicht von ungefähr an die Bestuhlung der „J.C.Deaux“-Wartehäuschen, denn sie repräsentieren das Wartehäuschen der 2 und 10 auswärts, das aber aufgrund der baulichen Enge nicht errichtet werden konnte.

Leider ist dieser sehr poetische Ort meist von sehr lauten und betrunkenen Menschen besetzt und bepisst, so dass man dort besser nur seine Gedanken Platz nehmen lässt. Gedanken, die schon fast ins Politische lappen könnten der Art, dass ja auch Briefkästen fehlen und Telefonhäuschen sowieso und Münzfernsprecher erst recht und Toilettenhäuschen ohnehin, Umsonstpissoirs schon gar, von Abfallbehältern ganz zu schweigen. Sollten da, wo alle Dienste am Bürger in geldgeile Privathände gegeben werden, ausgerechnet das Stadtmobiliar gratis zur Verfügung stehen? Muss man nicht eher an Klappstühle denken?

Doch solche Gedanken führen zu schwarzem Gegrübel. Hier also zur Aufhellung mein Lieblingsgratissitzplatz: Direkt vor der „Glocke“ steht eine Zweierbank, zwar ohne Rücklehne, aber mit 1a-Blick auf Landgericht, Gerichtskantine, Post-“Amt“ und „McDonald's“, auf ankommende und abfahrende Straßenbahnen und Busse und Umsteiger, die allesamt rennen, obwohl das gar nicht nötig wäre, weil an der Haltestelle Domsheide alle Linien ausgiebig warten. Und wer ein Gespür für Zeichen hat: Neben der besagten Bank steht eine Stange. Nur eine Stange. Ohne Schild. Kein Hinweis, keine Gebot, kein Verbot. Ziellos, sinnlos, nutzlos. Frei.

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