WAHLEN IN JUGOSLAWIEN: DIE OPPOSITION KÖNNTE MILOŠEVIĆ SCHLAGEN: Hat „Slobo“ sich verrechnet?
Eigentlich sollten die für den 24. September geplanten Wahlen in Jugoslawien für Slobodan Milošević und seine Verbündeten nicht mehr als eine Pflichtübung werden. Der Präsident selbst hatte die Wahlen zum Staatsoberhaupt um ein Jahr vorgezogen. Eigens dafür ließ er im Eilverfahren Verfassung und Wahlrecht ändern. Nun jedoch gewinnen die Abstimmungen eine neue Dynamik.
Dabei schien der Zeitpunkt günstig: Erstens wollte sich „Slobo“, dessen Mandat eigentlich erst im nächsten Jahr ausläuft, noch vor dem Winter bestätigen lassen. Denn die kalte Jahreszeit werden die Bürger Serbiens dieses Jahr mit dürftigem Heizmaterial, Stromausfällen, galoppierender Inflation und grassierender Verarmung durchstehen müssen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Volkszorn im Frühjahr gefährliche Ausmaße annehmen wird. Zweitens schien die Opposition zerstritten wie eh und je und kündigte zunächst einen Boykott der Wahlen an. Milošević schien sein Präsidentenamt, die Städte und das Bundesparlament auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.
Die Opposition stritt zwar wie geplant weiter – die Wahlen aber wird sie nicht boykottieren. Im Gegenteil: Fünfzehn Oppositionsparteien haben das Regime überrascht, und Vojislav Kostunica, den Vorsitzenden der Demokratischen Partei Serbiens (DSS), ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt. Laut Meinungsumfragen würde der unverbrauchte, allgemein geachtete Kostunica seinen Widerpart Milošević mit 43 zu 28 Prozent schlagen. Die anderen zwei Präsidentenkandidaten, Tomislav Nikolić von der mitregierenden ultranationalistischen Radikalen Partei Serbiens (SRS), und der blasse Kandidat der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), Vojislav Mihajlović, sind völlig chancenlos – zumal alle um Kostunica versammelten demokratischen Kräfte mit ungewohntem Eifer eine kompromisslose Wahlkapagne vorbereiten, die sich nicht nur gegen die regierende Koalition, sondern auch gegen die bisher zur Opposition gehörende SPO richten soll. Denn deren Alleingang habe Milošević unnötigen Spielraum verschafft.
Wenn sich selbst aus Sicht des Regimes wasserdichte Bundeswahlen allmählich seiner Kontrolle entziehen, dann scheint ein Erfolg der Opposition greifbar nahe zu sein. Die trübe Hoffnungslosigkeit in ihren Reihen hat sich deshalb wie über Nacht in ansteckende Kampflust verwandelt. Unterstützung kommt aus Montenegro: Die dort regierenden prowestlichen Parteien werden zwar die Wahlen boykottieren, aber möglicherweise Vertretern des Kostunica-Bündnisses, die aus der kleineren Teilrepublik stammen, ermöglichen, dort zu kandidieren. So würden tatsächlich keine Stimmen gegen Milošević verloren gehen. Meinungsforscher in Serbien sind sich einig, dass es der Präsident trotz aller erwarteten Wahlmanipulationen nicht schaffen würde, die von der Verfassung vorgeschriebene Mehrheit von über fünfzig Prozent im ersten Wahlgang zu bekommen. Eine Stichwahl gegen Kostunica aber würde einem Referendum über Milošević und sein Regime gleichkommen. Und Slobo würde verlieren.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Wahlen auch stattfinden. Selbst Kostunica äußerte in einem Gespräch mit der taz Zweifel – Milošević sei kein Mann, der ein Risiko eingeht. Analytiker vor Ort schließen nicht aus, dass es unmittelbar vor den Wahlen zu organisierten Unruhen in Montenegro oder in Südserbien, an der Grenze zum Kosovo, kommt. Denn: Wenn die territoriale Integrität des Staates bedroht wäre, könnten natürlich keine Wahlen stattfinden.
Der bekannte serbische Kolumnist Ljubodrag Stojadinović formulierte es in der unabhängigen Belgrader Tageszeitung Glas javnosti so: „Die Siegesstrategie des Regimes ist einfach formuliert: Erstens: Die Wahlen muss man gewinnen. Zweitens: Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass Punkt eins, egal unter welchen Umständen, nicht eintritt. Drittens: Jede weitere Möglichkeit ist ausgeschlossen.“ Tatsächlich ist es nach 13 Jahren „Slobo“ in Serbien völlig unmöglich, sich Milošević nach einer Wahlniederlage vorzustellen, wie er seinen Schreibtisch ausräumt, sein Schreibzeug in die Aktentasche packt, sich vom weinenden Personal verabschiedet und sich in seine Datscha zurückzieht. Denn für den der Kriegsverbrechen angeklagten Präsidenten und sein Gefolge sind Wahlen keine Frage der Politik, sondern des physischen Überlebens. ANDREJ IVANJI
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