auf der Flucht: Der dritte Renner
Kein Sofa für . . .
Eine Stadt im Verfolgungswahn. Die Jagdlust breitet sich in Berlin aus, wie die wollige Napfschildlaus. Es gibt nicht nur immer mehr Jäger – sondern auch immer mehr Gejagte. Sie hetzten Roger, den Realityrunner, Dagobert, den Knastflüchter, und jetzt das große Halali für noch einen Hallodri: Ein Morgenpostmann ist zur Hatz freigegeben. Und das von seinen eigenen Leuten! „Ein lustiges Sommerspiel“, frohlocken die Kollegen, setzen einen der Ihrigen auf die Straße und hetzen die Leserschaft auf ihn. Überall hängen Steckbriefe mit einem Foto des Gejagten. 2.000 Mark Kopfgeld sind auf den rennenden Reporter ausgesetzt. Nein, schrieben die Kollegen gestern, dies sei anders als die „martialische Internetjagd“ auf den Realityrunner Roger. Diese Hatz sei friedfertiger. Ein „Schelm“ sei, wer Böses dabei denke. Wir Schelme von der Kochstraße 18 fürchten um die Konkurrenzfähigkeit des Kollegen aus der Nachbarschaft. Für den running Reporter gibt es schlappe 2.000 Mark, für den Realityrunner satte 10.000 Dollar. Zudem wächst die Jagdlust erfahrungsgemäß eher bei Jagdobjekten wie Sportlehrern mit Waschbrettbäuchen, als bei Journalisten mit „Waschtrommelbäuchen“. Warum haben Springers diesmal nicht geschummelt? Doch das ist nicht das einzige Problem. Es könnte zu Verwechslungen der Ergreifungsslogans kommen. Mit „Augen auf“ stellen sie den Morgenpostmolli, mit „Du bist der Realityrunner und meine Nummer ist . . .“ seinen holländischen Konkurrenzläufer. Arm dran, der Morgenpostmann.
Die taz bietet Verfolgten Asyl. Doch mangels eines dritten Redaktionssofas können wir nur die härtesten Fälle aufnehmen. Dagobert ist einer, denn lieber einen Haufen Berliner an der Backe als die Paparazzi am Hals. Auch der Realityrunner ist schlechter dran als der ausgesetzte Schreiberling. Der muss nur 5 Stunden täglich spazieren gehen, bis er entdeckt wird. Roger dagegen ist 24 Tage, 24 Stunden on the run und muss schwere Aufgaben lösen. Gestern sollte er 5 Wahrzeichen der Stadt fotografieren. Je ein Körperteil musste mit aufs Bild.
Unser Voting: Der Morgenpostman muss draußen bleiben. Bis zum Axel Springer Haus hat er es ja nicht weit. Wir drücken die Daumen, dass sie dich wieder reinlassen. KAH
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