Sabbern, Seiern, Schnorren

Statt USA von unten nur pittoreske Nachbarschaft: In Stanley Tuccis „Joe Goulds Geheimnis“ bleibt die Geschichte, wie sie der Gossendichter Gould schrieb, unerzählt

Das Greenwich Village der 40er-Jahre als Terrarium. Ein Zeitgemälde. Wie pittoresk! Der Rahmen aber bleibt einfach und schmucklos, geradezu konventionell. Und wieder steckt Stanley Tucci in seiner permanenten Zeitschleife: Wenn er so weitermacht, wird er irgendwann als Chronist der 30er- bis 50er-Jahre Amerikas in die Geschichte Hollywoods eingehen. Kann das auf Dauer eigentlich befriedigend sein? Die Rolle des Biedermann-Reporters mit den kleinen Schrullen steht Tucci in seiner dritten Regiearbeit „Joe Goulds Geheimnis“ aber schon ganz gut.

Das Pittoreske wird in diesem Film auch schnell problematisch. Denn es geht um die Suche nach einer amerikanischen Parallelhistorie, die unerzählt geblieben ist – und fortan auch unerzählbar bleibt. USA von unten. Die „Oral History of Our Time“, die wahre Geschichte des 20. Jahrhunderts, war die Quintessenz der Erfahrungen und Erlebnisse des Gossenlyrikers Joe Gould, die er seit den 20er-Jahren in den Straßen von New York gesammelt hat. Außerhalb des Terrariums. Die Tatsache, dass die „Oral History“ letztlich nur in Goulds Kopf existiert hat, ist natürlich kein Zeichen erhöhter Mobilität der Besitzlosen, sondern der eigentliche, von Tucci aber ignorierte Knackpunkt des Films. Denn hinter der Scheibe schrumpft das soziale Gewissen auf launische Farbtupfer des herbeizitierten Lokalkolorits zusammen. Wenn Gould gleich am Anfang aus dem Off erklärt, dass er sich unter den „Cranks“, „Misfits“, „Would-Have-Beens“, „Never-Wills“ und „God-Knows-Whats“ schon immer wie zu Hause gefühlt hat, dann erwartet man zumindest, mal wirklich was über die Leute zu erfahren, die in der amerikanischen Geschichte ihre Stimme verloren haben. Die Streetcredibility hat er – und das Drehbuch beruht immerhin auf Artikeln, die der Reporter Mitchell über die authentische Figur Joe Gould schrieb.

Stattdessen: Gould beim Sabbern, Schnorren, Seiern; Gould, wie er sich eine halbe Flasche Ketchup in die Suppe kippt, Gould als putziges Maskottchen der Greenwich-Village-Galeristen. So wird man zur unverstandenen Legende. Tucci passt die Spleenigkeit seines Helden besser ins Stadtbild als die Protagonisten aus dessen Geschichtsschreibung. Das Historische ist in „Joe Goulds Geheimnis“ dann das, was man sich fürs Terrarium in der Zoohandlung besorgt: bloße Staffage – Lokalkolorit, die quirlige Boheme in ihrer Hood. So wie sich Hollywood halt gerne romantisch-verklärt Vergangenes vorstellt. Das soziale Gefüge, in dem sich der Held bewegt, verkommt zur missratenen Versuchsanordnung, die der wandelnden Low-Life-Anthologie Joe Gould nur eine Alibifunktion lässt. ANDREAS BUSCHE

„Joe Goulds Geheimnis“. Regie: Stanley Tucci. Mit Ian Holm, Stanley Tucci u. a. USA 2000. 108 Min.