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Die singende, klingende Cyberzapfsäule

Was letztes Jahr noch eine Herausforderung war, ist heute bereits Alltag: In ihrem zwölften Jahr ist die Popkomm.-Messe in Köln endgültig in der neuen Ökonomie angekommen und steht ganz im Zeichen der dot-coms

Der Punkt hinter der Popkomm. war immer schon da. Doch was einmal wenig mehr als typografischer Schnickschnack war, macht in diesem Jahr besonderen Sinn: So viele Internet-Firmen wie nie zuvor haben sich zur zwölften Popkomm. angemeldet. Auch sonst sind im Vorfeld aus Köln nur Erfolge zu vermelden: Erstmals wird der Messe-Auftakt in diesem Jahr mit einer großen TV-Gala namens „Stars 2000“ begangen.

Und zudem ist man nun richtig international: Erstmals stellen ausländische Firmen die Mehrheit der Aussteller. Länder wie Korea, Russland und Kuba stehen neu auf der Gästeliste – letztere kommen zur Eröffnung mit einer ganzen Delegation, die von einem leibhaftigen Kulturminister angeführt wird. Und wo bleibt da Michael Naumann? Oder wenigstens Werner Müller, der Wirtschaftsminister? Denn Popkomm. goes dot-com, das bedeutet auch: Achtung! Sie betreten jetzt den Bereich der New Economy!

Von wegen Zukunftsmusik: War auf der letzten Popkomm. noch eher vage die Rede von der „digitalen Herausforderung“, so lautet das Thema in dieser Saison schlicht: „Der digitale Alltag“. Allerdings lässt sich nicht verbergen, dass sich dabei längst ein alarmistischer Ton eingeschlichen hat. Der Streit zwischen der Musikindustrie und der Internet-Tauschbörse Napster in den USA hat auch in Deutschland die Branche aufgeschreckt.

Die Metal-Band Metallica und der Rapper Dr. Dre haben, als Erfüllungsgehilfen ihrer Plattenfirmen, bekanntlich einen Prozess gegen die Softwarefirma Napster angestrengt, die nur um einen Mausklick an einer zeitweiligen Schließung ihrer Web-Seite vorbeigeschrammt ist – über ihr Inkrafttreten wird am 8. September neu verhandelt. Metallica und Dr. Dre stehen freilich nicht allein an der Seite ihrer Arbeitgeber, der Plattenmultis: 70 Musiker, darunter Alanis Morissette, Christina Aguilera, die Rockband Bon Jovi, der Jazzmusiker Herbie Hancock und der Cowboy Garth Brooks haben sich als „Artists United against Piracy“ mit deren Sache solidarisiert. In ganzseitigen Anzeigen in US-Zeitungen fragten sie: „Wenn ein Song dir viel bedeutet, stell dir vor, was er uns bedeutet.“

Tantiemen vielleicht? Musiker stehen jedenfalls auf beiden Seiten der virtuellen Barrikade, und es ist kein Zufall, dass sich keine Indie-Bands für den Copyright-Kreuzzug der Majors ins Zeug legen. Denn für kleine Labels und unbekannte Künstler bietet das Netz handfeste Wettbewerbsvorteile gegen die geballte Werbe- und Vertriebsmacht der Plattenkonzerne. Aber auch nicht wenige Mainstream-Stars schlagen sich auf die Seite von Napster – nicht, weil sie in Zukunft ihre Arbeit verschenken wollen, sondern weil sie die Chance wittern, sich mit dem neuen Medium von der Bevormundung durch die Plattenfirmen zu lösen. Courtney Love hat jüngst erklärt, sie wolle es Prince und Public Enemy nachmachen und ihr nächstes Album in Eigenregie veröffentlichen, wenn möglich über das Netz. Die Hole-Sängerin ortet die eigentlichen Musikpiraten in den Büros der Plattenkonzerne, die ihre Künstler wie Angestellte halten und sich an deren Urheberrechten bereichern.

Allerdings haben die bisherigen Versuche gerade namhafter Musiker, per Direktvertrieb übers Netz die Plattenmultis mit ihren gigantischen Marketingmaschinen zu umgehen, kaum ausgezahlt. Was nützt es Prince auch, seine neue Platte ins Netz zu stellen, wenn Radio-Airplay oder MTV-Rotation nicht für Kaufanreize sorgen? Und wer kauft die Musik im Netz, wenn es sie dort auch gratis gibt? Unbestritten ist: Es gibt ein Copyright-Problem. Auch, weil manches Material im Netz aus dubiosen Quellen stammt. Der neue Madonna-Song „Music“ etwa war dort schon lange vor der geplanten Veröffentlichung zu hören: Irgendwer war an eine Vorab-Aufnahme gekommen und hatte sie zum kostenlosen Download angeboten. Inzwischen steht der Song wieder als MP3 im Netz, aber diesmal ganz offiziell: Madonna nutzt die Veröffentlichung der Single auf ihrer Homepage, um für den Kauf der CD zu werben. Denn letztlich kann das, was die deutsche Phono-Industrie pauschal als „Piraterie“ verdammt, auch nützliche Promotion-Effekte haben.

Um beim Strukturwandel der digitalen Öffentlichkeit am Ende nicht als Modernisierungsverlierer auf der Strecke zu bleiben, will die Musikbranche verstärkt solche „legalen Alternativen“ zum „illegalen Download“ anbieten. Ansonsten experimentiert sie mit einem Kopierschutz für Kauf-CDs sowie mit einem digitalen Wasserzeichen, das Vervielfältigungen digitaler Sounddateien aus dem Netz verhindert, oder wünscht sich von der Politik eine Abgabe auf CD-Rohlinge. Der Ruf nach Verboten oder Appelle wie die alberne „Copy kills Music“-Kampagne, die zur letztjährigen Popkomm. vom Stapel gelassen wurden, dürften ihr dagegen wenig nützen: Sie demonstrieren bloß Hilflosigkeit angesichts einer Entwicklung, die sich ihrer Kontrolle immer mehr entzieht.

Denn selbst wenn Napster in den USA vom Netz gehen sollte, existieren bereits genügend dezentrale Tauschprogramme wie Gnutella oder Freenet, mittels derer MP3-Files weiterhin munter getauscht werden können. Mehr Sinn macht es, auf die neuen technischen Möglichkeiten zu setzen. Ob aber die singende, klingende Cyberzapfsäule letzlich die Lösung ist? Auf der Popkomm. startet ein Feldversuch mit so genannten „Musiktankstellen“, an denen sich der Kunde aus einer Auswahl von Titeln seine eigene CD zusammenstellen und brennen kann – demnächst an Ihrem Bahnhof oder im Kaufhaus an der Ecke. DANIEL BAX

Ab morgen bis Montag: die tägliche Popkomm.-Kolumne

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