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Jungs, versunken ins Gerät

Wenn Männer zu sehr löten: eine Reise durch die Arbeitsspeicher der Berliner Elektronikmusiker Pole, Arovane und Jan Jelinek. Der Knöpfchen drehende, Computer programmierende, eigenbrötlerische Bastler ist aber (fast) nur ein Klischee

von THOMAS WINKLER

Jan Jelinek ist gerade der Laptop abgestürzt. Die Festplatte rührt sich nicht mehr, alle Daten drohen verloren zu gehen, alle Musik, alle Sounds, alle Kontakte, alle E-Mail-Adressen. Auf einer kleinen Festplatte in einem kleinen Computer ist alles, was ein Musiker heutzutage zum Leben braucht. Na, fast alles. „Lass uns zum Italiener gehen“, sagt Jelinek, „ich habe heute noch nichts gegessen.“

Es gibt ein Klischee. In diesem Klischee drehen Jungs an Knöpfchen, programmieren Computer, basteln und löten, und am Ende kommt Musik dabei raus, manchmal sogar wunderschöne. Im Klischee sind diese Jungs Eigenbrötler, eher ein wenig vergammelt, schweigsam, nicht allzu sozial kompetent und vor allem eins – immer Jungs. Letzteres stimmt. Ansonsten verhält es sich wie mit anderen Klischees: Es ist was Wahres dran, aber im Einzelfall meist Humbug.

Beispiel Jan Jelinek. „Einen Synthesizer aufschrauben? Das sind sieben Siegel für mich, da habe ich keine Ader für.“ Sein Vater ist Musiklehrer, er selbst hat sich lange, wenn auch eher unwillig am Klavier versucht. Mittlerweile ist er 28 Jahre alt. Unter dem Projektnamen Gramm veröffentlicht er auf dem Kölner Label Source Records, unter dem Namen Farben auf Klang Elektronik in Frankfurt/Main. Vor fünf Jahren kam er aus Darmstadt des Studiums wegen nach Berlin.

„Sozialisiert mit Black Music“, sampelt er die alten Platten und versucht Disco und House zu produzieren, aber „unwissentlich kommt immer was anderes raus“. Dieses andere sind Techno-Tracks, deren Sample-Ursprünge nicht mehr zu erkennen sind, deren Sequenzer aber auch so vorsichtig pluckern, dass sie kaum mehr für den Tanzboden geeignet sind. Den jederzeit transparenten Sounds, den wie verirrt herumstolpernden Jazz-Basslinien, dem flächigen Schaben spürt man am besten zu Hause unterm Kopfhörer nach. Dass Jelinek „versucht, das Pathos alter Marvin-Gaye-Platten nachzuahmen“, ist dann allerdings beim besten Willen nicht mehr zu hören.

Seine Versuche, den Soul vergangener Jahrzehnte mit Maschinen einzufangen, finden in seiner 1-Zimmer-Wohnung in Prenzlauer Berg statt. Dort steht auf den grau gestrichenen Dielen zwar noch allerlei Equipment herum, wird aber nicht mehr benutzt. Die Tracks entstehen ausschließlich im Computer in einem „sehr kontemplativen Prozess“. Diese meist stunden- und nächtelangen Sitzungen haben „etwas Tranceartiges, fast schon Autistisches, das kontradiktorisch zur Rockmusik steht. Man ist sehr versunken in sein Gerät, Kommunikation findet da nicht unbedingt statt.“

Jelinek weiß um das Klischee und grinst, als er merkt, in welche Richtung das Gespräch gelenkt wird. Als Jugendlicher hat er zwar in Ska-, Punk- und Hardcore-Bands Bass gespielt, aber schnell festgestellt, dass ihn das soziale Geflecht aus Männerfreundschaften, das eine Band ausmacht, nicht interessiert. „Musik mit anderen zu machen fällt mir inzwischen schwer“, gibt er zu, „aber ich bin kein Einzelgänger“ – auch wenn er seine Jugend „nicht gerade mit Beach-Volleyball verbracht“ habe.

Jelinek will Musik nicht mehr als künstlerische Entäußerung verstanden wissen. Gefühle sind für ihn nebensächlich, im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit der Maschine: „Ich wollte noch nie Empfindungen oder Befindlichkeiten am Rechner umsetzen“. Es ist also nicht zu erwarten, dass das Malheur mit der Festplatte demnächst Niederschlag in einem Track finden könnte. Wie man auch nicht den Eindruck hat, dass ihn der drohende Datenverlust allzu sehr mitnehmen würde.

„Das mit der Festplatte“, sagt Stefan Betke, „das passiert Jan doch dauernd.“ Wenn Jelinek den neuen Typus Musiker repräsentiert, der durch die elektronische Klangerzeugung entstanden ist, dann ist Betke alte Schule mit neuen Mitteln. „In meinen Anfängen war ich Songschreiber“, sagt der Mann, der mittlerweile als unter dem Namen Pole einen der derzeit radikalsten Electronica-Entwürfe entwickelt hat.

Mit „3“ hat er unlängst eine Trilogie abgeschlossen. Jedes Album war einfarbig gehalten, Nummer eins in blau, die zweite in rot und der Abschluss in Gelb. Mit jeder Platte tauchte Betke tiefer ein in das, was er selbst „Urban Dub“ nannte. Aus Rauschen und Knistern schält sich ein extrem verzögerter Rhythmus, der viel Platz für Zwischenräume lässt. Nicht mehr Harmonien und Melodien interessieren ihn, sondern Atmosphären und Strukturen: „Ich versuche in den Räumen zwischen Tönen ins Detail zu gehen.“

An diesen Details arbeitet er in seinem Studio in Berlin-Kreuzberg, das mit Betke als Produzent inzwischen weltweit einen guten Ruf genießt. Der studierte Musiker mit Hauptfach Klavier spielt die einzelnen Spuren auf Synthesizern und Instrumenten und nimmt diese mit dem Computer auf, um sie anschließend parallel abspielen und live am Mischpult bearbeiten zu können. Im Gegensatz zu Jelinek sampelt Betke nie; der Rechner dient ihm allein als Aufzeichnungsgerät.

„Ein Synthie hat für mich nichts Maschinelles“, sagt Betke, „ich bin kein Maschinist.“ Das Wort Bastler bringt ihn gar ein wenig in Rage: „Jean Pütz bastelt! Ich mache Musik, das ist mein beruflicher Alltag.“ Der 33-Jährige hat eine lange Karriere in den verschiedensten Artrock- und Avantgarde-Bands hinter sich, sieht seine Mutation zum allein arbeitenden Elektronik-Musiker aber nicht nur als persönlich logische, sondern vor allem als musikalisch zwingende Entwicklung: „Wenn wir andersartige Musik machen wollen, müssen wir auch die Form ändern.“

Momentan ist er auf der Suche nach diesem Klang, nach dem einen perfekten Stück Musik, das alle Musik beenden würde, das also niemals aufgenommen werden wird. Es ist „das Streben nach diesem Bild“, das ihn antreibt. Dass man da, nach zehn Jahre währender Forschungsarbeit „eher krude, vielleicht schon ein komischer Mensch“ wird, das denkt er schon. Doch Betke selbst ist ein eloquenter, selbstsicherer Gesprächspartner, und er könnte es sich auch gar nicht leisten, wunderlich zu werden. Als Produzent muss er sowieso ständig mit anderen Musikern zusammenarbeiten, ebenso als Betreiber seines eigenen, kleinen, aber doch recht erfolgreichen Labels Scape.

Die Musik von Pole ist auch nicht romantisch. Trotz des mittlerweile berühmt-berüchtigten Waldorf-Filters, der Betke einst herunterfiel, seitdem unregelmäßig umherknackst und in keinem Artikel über Pole fehlen darf, klingt sie kalkuliert und durchdacht. Ganz anders als bei Uwe Zahn alias Arovane. Auf dessen letztem Album „Tides“ sind nicht umsonst die Akkorde eines Spinetts der markanteste Sound. Auch Arovane will „neue Klangstrukturen entwickeln“, aber seine vor allem durch einen alles beherrschenden Hall definierten Klangräume stehen völlig außerhalb der Entwicklungen in Techno oder Dub der letzten Jahre. Das zieht den Vorwurf auf sich, New Age zu sein, orientiert sich aber eher an klassischer Musik. Nicht nur, weil der für den Dancefloor unverzichtbare repetitive Charakter weitestgehend fehlt. Die Trance entsteht durch die alles beherrschende Weichheit. Den Maschinen wird mit Hilfe des Halls um jeden Preis ein altmodisch seelenvoller Klang abgerungen.

Zahn hat zwar auch Drum ’n' Bass produziert, aber die fast schon bis zum Kitsch verhallten Wohlfühlflächen von „Tides“ könnte man, wäre man bösartig, durchaus als Soundtapeten verunglimpfen. Sie entstehen in einem ausgebauten Dachgeschoss in Prenzlauer Berg mit Kakteen auf den Fensterbrettern. Auf flauschigem grauen Teppich steht allerlei Technik, „alles auf dem neuesten Stand“, aber nach einem Computerbildschirm sucht man vergebens. Zentral ist ein großes Mischpult, denn Zahn „liebt Knöpfe und Fader“, um „reduziert in Strukturen einzugreifen“. Jedes seiner Stücke ist im Grunde eine Live-Improvisation. „Computer sind mir nicht intuitiv genug“, sagt er. Stattdessen triggert er die einzelnen Sounds an und moduliert sie in Echtzeit am Mischpult. Wenn er glaubt, er sei auf dem richtigen Weg, lässt er einen Hard-Disc-Recorder mitlaufen.

„Ich habe gern meine Ruhe“, sagt Zahn, „aber ich arbeite auch gerne mit anderen Leuten zusammen“. Das allerdings sieht so aus, dass DATs hin und her geschickt werden. „Ich bin mein eigenes Orchester.“ Der Autodidakt versucht, Live-Charakter und musikalisches Können, eigentlich altmodische Rock-Qualitäten, mit moderner Technik und im Alleingang nachzustellen, und träumt von einem Akustik-Album. Damit bildet er einen Gegenpol ausgerechnet zu Betke, der sich, obschon klassisch ausgebildet, am weitesten auf die neue Technik eingelassen hat: Er geht von elektronisch erzeugten Sounds aus und mit Methoden vor, die allein die elektronische Klangerzeugung bietet.

Seit 1991 ist Zahn bereits in Berlin. Leben kann er von der Musik nicht, er muss immer noch als Erzieher arbeiten. „Wenn ich nicht arbeite“, sagt Zahn, „dann sitze ich eigentlich hier im Studio.“ Dann muss er ein wenig lächeln, weil er weiß, dass auch er gerade das Klischee bedient hat.

Die Reise durch Berlin ist zu Ende. Es gab ein Klischee. Aber wie in jedem Klischee findet sich auch in diesem eine Spur Restwahrheit. „In meiner Jugend bin ich musikalisch nie verstanden worden“, erinnert sich Jan Jelinek über seinem Teller Gnocchi an seine Zeit als einziger Lee-Perry-Fan in Darmstadt, „und als ich nach Berlin kam, war ich erschüttert davon, wie viele Stereotype ich erfülle.“

Arovane: „Tides“ (CCO/Hardwax); Arovane: „Atol Scrap“ (DIN/EFA); Pole: „3“ (Kiss SM/PIAS); Gramm: „Personal Rock“ (Source/EFA)

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