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Die Beachtung, die Nazis gebührt

Erste Erfolge des Outings: Zehn Prozent der aktiven schwedischen Rechten sagten sich los von der braunen Szene, rechtsradikale Gewalttaten nahmen ab

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Die vier größten schwedischen Tageszeitungen haben im vergangenen Jahr ein Signal gesetzt. Sie wollten die Gewalttaten von Rechtsextremen in Schweden nicht länger nur kommentieren. Nach zwei ermordeten Polizisten, einem Sprengstoffanschlag auf einen Journalisten und dem Mord an einem Gewerkschafter veröffentlichten sie am 30. November 1999 gemeinsam eine Liste von 62 Nazi-Persönlichkeiten mit Namen und Gesicht. Der Wohnort wurde genannt und ihre Laufbahn in der Szene kurz charakterisiert.

Der Erfolg der Kampagne: Acht der gelisteten Neonazis wurden aus verschiedenen Gewerkschaften ausgeschlossen, drei verloren ihren Job, bei einem wurde der Einberufungsbescheid zur Ableistung der Wehrpflicht zurückgenommen. Kein Fall wurde bekannt, in dem es individuelle oder organisierte Gewalttaten gegen einen der öffentlich Angeprangerten gegeben hat.

Wenigstens 15 der Geouteten sagten ihrer braunen Vergangenheit Adieu. Mit ihnen sagten sich nach Polizeischätzungen weitere 200 bis 300 Gesinnungsgenossen von den Rechtsextremisten los. Das entspricht immerhin 10 Prozent der gesamten aktiven braunen Szene.

Ein weiterer Erfolg der Aktion: Die rechtsradikalen Gewalttaten nahmen in den Monaten nach der Veröffentlichung deutlich ab.

Nach der Naming-Aktion konzentrierte sich die Berichterstattung auf die südschwedische Nazihochburg Karlskrona. Auch hier wurden die Namen und Fotos der Akteure publiziert. Ergebnis: Die Nazis haben Karlskrona geräumt. Dass ein Teil sich mittlerweile in der Stadt Klippan neu gesammelt hat, sollte bald Anlass einer neuen konzertierten Aktion sein.

Das Outing wurde in der schwedischen Öffentlichkeit zunächst sehr kontrovers diskutiert. Doch mittlerweile gilt es dort weitgehend als Erfolg, auch wenn die meisten der Abgebildeten sich wenig darum scherten und einige sogar stolz über die „Ehre“ waren. Obgleich sich die Reihen der Neonazis lichteten, ist der Rechtsextremismus, das weiß man in Schweden, noch lange nicht entschärft.

Da die Rechtsextremen in der Generation der 16- bis 20-Jährigen nicht mehr fündig werden, konzentrieren sie sich in ihrer Rekrutierungsarbeit auf die Altersgruppe der 14- und 15-Jährigen. Diese neue Entwicklung wird jedoch nicht als Argument gegen die Outingaktion betrachtet, sondern als Anlass für einen neuen Kraftakt.

Die schwedischen Zeitungen haben die Outing-Aktion der Neonazis damit begründet, dass die Bürger das Recht haben zu wissen, wer auf einer Internet-Seite Todeslisten von „Volksfeinden“ verbreitet, wer mit der Produktion von rassenhetzerischer Musik Geld verdient. Die Bürger haben ein Recht darauf, das Gesicht der Frau zu sehen, die in die Fernsehkameras sagt: „Wenn die Ausländer nicht freiwilig gehen, dann müssen wir sie einfach totschlagen.“ Sie sollen sie auf der Straße wiedererkennen. Sie sollen wissen, ob es ihr Nachbar oder Arbeitskollege ist, der die Judenvernichtung leugnet. Ich habe das Recht zu wissen, wer droht, meinen Sohn zusammenzuschlagen, nur weil er Ausländer ist.

Der Unterschied zu der unverantwortlichen Steckbriefaktion einer englischen Zeitung gegen vermeintliche Pädophile oder den Fahndungslisten „Gefährliche Terroristen!“ deutscher Sicherheitsdienste wurde in der schwedischen Outing-Aktion sehr deutlich gemacht. Es werden keine Kriminellen oder bestimmter Straftaten Verdächtigte gesucht oder geoutet. Es geht ausschließlich um ihre tatsächlichen politischen Aktivitäten und Meinungsäußerungen.

Wer aktiv neonazistische Äußerungen verbreitet und in der einen oder anderen Form für sein nazistisches Ideal arbeitet und wirbt, kann nicht erwarten anders behandelt zu werden, als der Jungsozialist, der auf dem Marktplatz einen Flugzettel für die Steuerreform verteilt oder die Gemeinderatskandidatin, die Unterschriften gegen das Staatsangehörigkeitsrecht sammelt.

Neonazis müssen in der Öffentlichkeit für sich und ihre politische Arbeit geradestehen. Sei es durch ein zufälliges Foto eines Pressejournalisten, ein Interview oder eine Reportage über die Szene. Oder eben mit einer Bestandsaufnahme in Form einer Fotoreihe.

Welche PolitikerInnen, welche SportlerInnen können damit rechnen, nicht mit Name und Bild in den Medien ausgehängt zu werden, wenn sie Unsinn von sich geben? Welche Pflicht sollte die Presse haben, ausgerechnet Neonazis und ihre Gefolgsleute vor ihrer eigenen Dummheit und möglicherweise davon ausgelösten Reaktionen anderer zu schützen, indem man ihren Namen nicht nennt und nicht zeigt, wie ihr Gesicht aussieht?

Die Schweden haben es vorgemacht: Das „Outing“ gefährdet weder die Demokratie allgemein, noch konkret die Meinungsfreiheit der Nazis. Der Schutz ihrer Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass man sie vor öffentlicher Aufmerksamkeit schützen muss.

Und diese Aufmerksamkeit kann ihnen dann auch vielleicht wesentlich besser deutlich machen als jede Sonntagsrede: Du bist auf jener Seite, wir sind auf dieser. Du bist für uns gefährlich, deshalb werden wir uns schützen. Oder wie der schwedische Schauspieler Sven Wollter angesichts von Morddrohungen gegen ihn meinte: „Ihr habt völlig Recht, wenn ihr mich zu eurem Feind ausersehen habt. Denn ihr seid meine Feinde. Nicht als Menschen. Sondern als Nazis.“

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