: Atomkonsens ohne Folgen
■ Die Einigung der Bundesregierung mit den Stromkonzernen in Sachen Atomstrom lässt die Emsländer um das AKW Lingen kalt / Die Entscheidung sei „ohne Belang“
Lingen – Knapp zwei Monate nach der Einigung zwischen Bundesregierung und Stromwirtschaft auf den langfristigen Ausstieg aus der Atomenergie ist am Atomkraftwerk (AKW) Emsland alles beim Alten. „Der Kompromiss ist im Ergebnis für uns ohne weiteren Belang“, sagt Oberkreisdirektor Hermann Bröring (CDU). „Das Werk wird wohl erst abgeschaltet, wenn die technologische Leistungsgrenze erreicht ist.“
Ähnlich sieht das der Oberbürgermeister der Stadt Lingen, in deren Gewerbegebiet das AKW Emsland steht. Da das Kraftwerk vor zwölf Jahren bundesweit als Vorletztes ans Netz ging, rechne er mit einer langen Laufzeit. „Die Stadt Lingen erwartet, dass es als eines der letzten abgeschaltet wird“, sagt OB Heiner Pott. Der Geschäftsführer des örtlichen Wirtschaftsverbandes, Jürgen Boss, bläst in dasselbe Horn: „Wir setzen auf maximale Laufzeit.“ Schließlich verdanke die Region dem Umfeld des Atombetriebs „mehrere Millionen“ an Kaufkraft.
Wie lange das Kraftwerk mit einer Leistung von 1.400 Megawatt im Emsland noch Strom erzeugt, kann selbst der Betreiber noch nicht genau absehen: „Das hängt im Endeffekt von der Berechnung und eventuellen Übertragung der Reststrommengen ab“, sagt der Sprecher der VEW-Energie, Theo Horstmann. 20 Jahre werde es aber wohl noch dauern, schätzt er. Neben dem Emsland gehören zur VEW von den bundesweit 19 Reaktoren noch die Kraftwerke Biblis und Grundremmingen sowie der nicht produzierende Reaktor Mülheim-Kärlich.
Nach dem Atomkompromiss soll für jeden deutschen Reaktor mit Stand vom Januar 2000 eine so genannte Reststrommenge festgelegt werden, die dort noch bis zur Stilllegung erzeugt werden darf. Hintergrund ist eine erwartete Gesamtlaufzeit von 32 Jahren pro Werk. Allerdings dürfen die Betreiber auch Reststrommengen älterer Reaktoren auf neue und leistungsfähigere übertragen.
Mit rund 500 Beschäftigten auf dem Kraftwerksgelände ist das AKW einer der größeren Arbeitgeber der Region, sagt der Leiter des Informationszentrums am Kraftwerk, Werner Risse. Der Grund für die vergleichsweise hohe Akzeptanz des Atommeilers in der emsländischen Bevölkerung liegt neben der Beschäftigung vor allem im Geld: Mit den Gewerbesteuereinnahmen, die von Kommunalpolitikern auf einen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr geschätzt werden, hat Lingen ein vergleichsweise unerreichtes Sport- und Kulturangebot geschaffen, das auch auf die Umgebung ausstrahlt.
Wie die Befürworter hat auch die Atomkraftgegner im Emsland der Atomkompromiss nicht aufgescheucht: „Von Zufriedenheit kann zwar überhaupt keine Rede sein, aber es gibt keine Möglichkeit des Einwandes“, sagt Angela Kröger, die regelmäßig einmal im Monat am „Vernetzungstreffen“ der Anti-Atomkraft-Initiativen im Emsland teilnimmt. Resignieren will sie dennoch nicht, ihr Kampf gilt wie der ihrer Gesinnungsgenossen vom Arbeitskreis „Keine Castorhalle in Lingen“ dem geplanten Zwischenlager für Brennelemente direkt am Kernkraftwerk. „Es soll für 130 Castoren Platz bieten, aber im Lingener Kraftwerk fallen höchstens noch 60 an“, schätzt sie.
Das Genehmigungsverfahren für das von der Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH beantragte Zwischenlager ist nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS/Salzgitter) noch im Gange. „Wir sind noch in der Prüfung der beim Erörterungsverfahren im Dezember erhobenen Einsprüche“, sagt BfS-Sprecherin Susanne Commerell. Jutta Steinhoff/dpa
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