: Extra-Terrestrisch erwachsen werden
■ Das Metropolis führt mit E.T. einen der erfolgreichsten Universal-Filme wieder auf Von Alexander Diehl
Fünf Jahre nachdem Steven Spielberg mit Unheimliche Begegnung der dritten Art den „neben Star Wars zweiten großen Auslöser der Spätsiebziger-SF-Welle“ (Mark Sikora) abgeliefert hatte, legte er nach, und das im großen Stil: E.T. – Der Außerirdische (1982) brach binnen kürzester Zeit alle Rekorde an den Kinokassen, war zeitweilig finanziell erfolgreichster Film überhaupt; er wurde mit etlichen Preisen ausgezeichnet, darunter zehn Academy Awards, und noch 1998 zu den „100 Greatest American Movies“ gezählt.
Zunächst bedient sich Spielberg einmal mehr der Idee des freundlichen (und nicht von ungefähr kleinen) außerirdischen Besuchers, der keine Bedrohung des Menschen bedeutet, sondern vielmehr dessen Opfer wird – genauso aber auch auf Freundschaft und Mitgefühl vorfindet. Dahinter steht freilich mindestens das märchenerprobte Motiv des ausgesetzten Kindes, das Prüfungen zu durchlaufen hat, um schließlich eine Form der Läuterung zu erfahren. Nennen wir sie vorerst Erwachsensein. In E.T. sind es eigentlich zwei solcher Protagonisten, deren einer natürlich gar kein Kind ist, dafür aber tapsig und fremd in der Welt wie eines.
Während eines botanischen Forschungsbesuches auf der Erde wird ein außerirdisches Raumschiff überrascht und muss fliehen, zurück bleibt eines der knubbeligen Wesen. Der zehnjährige Elliott (Henry Thomas) indes muss in seiner kalifornischen Vorortsiedlung eine eigene Alienation erdulden: Vor kurzem hat sein Vater die Familie verlassen, sein großer Bruder Michael (Robert MacNaughton) und dessen Freunde (u.a. der pubertäre C.Thomas Howell) wollen ihn nicht an den gemeinsamen Fantasy-Rollenspielen dabeihaben. Er trifft – und das unterscheidet Elliott von anderen Kindern, etwa denen, die 1982 die Kinos bestürmten, in einer erwachsenen Welt der Verschlossenheiten und Vorenthaltungen – im folgenden auf einen tatsächlichen Außerirdischen, was ihm erwartungsgemäß erstmal niemand glaubt. Der, wie sich herausstellt, nicht nur Wunden heilen und Blumen blühen lassen kann, sondern auch noch telepathische und -kinetische Fähigkeiten hat. Elliott beschließt, den E.T. genannten Gast zu verstecken und weiht – „Erwachsene können ihn nicht sehen“ – nur seine Geschwister, neben Michael seine kleine Schwester Gertie (Drew Barrymore), ein.
Elliott und E.T. entwickeln eine enge empathische Beziehung, der das Drehbuch einige brillante Passagen zugedenkt: E.T. trinkt Bier, Elliott wird betrunken, E.T. sieht im Fernsehen eine klassische Liebesszene, die Elliott in der Schule nachstellt und derlei.
Bald wird klar, dass die außergewöhnliche Freundschaft nicht ungestört bleiben wird, denn E.T. leidet auf der Erde, so dass sein berühmt gewordener Wunsch „nach Hause telefonieren“ – im Original lieh immerhin Debra Winger dem „animatronischen Alien“ (www.allmovie.com) die Stimme – eine Notwendigkeit wird. Auch sind ihm die Schergen eines gesichtslos bleibenden Regierungs- und Wissenschaftsapparates längst auf der Spur. Das Mutterschiff muss also herbeigerufen werden, mit Hilfe einer selbstgebauten Apparatur. E.T. erkrankt schwer (und mit ihm Elliott), die Mutter (Dee Wallace Stone) wird schließlich eingeweiht. Die Behörden schlagen zu, E.T. wird zum Objekt ihrer Untersuchungen und fällt in einen Scheintod. Einzig das nahende Raumschiff und der Mut Elliotts, Michaels und seiner Freunde (fliegende BMX-Räder!) lassen E.T. geradezu wieder auferstehen und schließlich nach Hause zurücckehren. Einer der Alienjäger (Peter Coyote) entpuppt sich als eine Art Gleichgesinnter Elliotts (“Er ist auch zu mir gekommen. Ich habe davon geträumt, seit ich zehn Jahre alt bin.“), und nicht wenige der kindlichen Zuschauer werden ihm einen Platz in der beschädigten Kernfamilie zugedacht haben (– was glücklicherweise nicht eingelöst wird). Der gereifte Elliott schließlich weiß, das E.T. ihn trotz seiner Abreise nicht verlassen wird, vielmehr „immer da“ sein wird.
Zu einer Fortsetzung des tränenrührenden Kassenschlagers ist es (bisher nicht) gekommen, ein wenig verwunderlich in heutigen Zeiten, zumal Buch-Autor William Kotzwinkle ein (zugegeben merkwürdiges) Sequel vorgelegt hat. Dafür schlug die Merchandising-Maschinerie seinerzeit Purzelbäume, Eltern kauften ihren Kindern unbeachtet aller ikonographischen Verweise auf knospende (männliche) Sexualität – gestreckte Finger mit leuchtend-roten Spitzen, erigierte Hälse – jedes Produkt mit dem kleinen Alien. Auch wäre die Passage, in der Gertie E.T. ihrerseits für sich beansprucht, indem sie ihn als blondes Cowgirl ausstaffiert nochmal genauer zu beleuchten – und natürlich Elliotts Reaktion: „Du solltest ihm nicht seine Würde nehmen. Das ist das lächerlichste was ich je gesehen habe.“ Im Film gibt es gar keinen Hinweis auf E.T.s Geschlecht. Den Rest erledigten die Zuschauer.
heute, 19 Uhr, morgen und übermorgen, 17 Uhr, Metropolis
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