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: Vereinigt die Eigenschaften der Boheme mit denen der Bourgeoisie: Der Bobo, ein Menschenschlag, der in Berlin aber nur schwer Fuß fassen will

Unkonventionelle Spießer

Amerikanische Forscher haben einen neuen Menschenschlag entdeckt: den Bobo. Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine Sekte, die den kecken Aargauer Dance-Popstar DJ Bobo zur Gottheit im „Pleasure Dome“ von RTL 2 erhoben hat, oder eine kindliche Sängerin, die Bobo in White Wooden House nacheifert. Auch „Bobo und die Hasenbande“, ein ergreifender Zeichentrickfilm über das Schicksal eines von einer herzlosen Familie ausgesetzten lieben Hundes, ist nicht die Vorlage dieser neuen Wortschöpfung.

Bobo bezeichnet ein brandneues gesellschaftliches Phänomen, das wie so viele vor ihm auch erstmals in Amerika aufgetreten ist. Bobo ist die Abkürzung für Bourgeois-Bohemian. Bobos sind bürgerlich abgedrehte Szenemenschen, total unkonventionell lebende Spießer. Das mag sich erst einmal recht konstruiert anhören. Um den Begriff zu verstehen, muss man sich eben von altem Ballast freimachen.

Hustete sich die traditionelle Boheme in Puccini-Opern, Kaurismäki-Filmen und der Literatur des 19. Jahrhunderts noch an einer offenen Tb zu Tode oder suchte sie wegen steigender Lebenshaltungskosten oft auch den Ausweg im Freitod, bleibt dies dem Bourgeois-Bohèmian erspart. Denn das Bürgerliche, Krankenversicherte, Konventionelle fügt er ja dem unbekümmert ausgeflippten Exzess- und Lotterleben hinzu.

Eine gelungenere Verschmelzung zweier toller Lebensperspektiven lässt sich vermutlich kaum vorstellen. Die Losung lautet dann: Künstlerisch-freies Laisser-faire meets pflichtbewusst arbeitende Systembestätigung.

Bobos sind angeblich der neue Mittelstand. Bobos arbeiten hart, und sie verstehen es zu genießen, sagen die Forscher. Praktischerweise vereinen sie Materialismus und Idealismus harmonisch miteinander, und so wird es auch bald keine Widersprüche und sozialen Konflikte auf der Welt mehr geben.

Die warmherzigen Bobos sollen jetzt sogar die kaltschnäuzigen Yuppies ablösen. Wen sonst, will man da hämisch fragen, wo sich doch die x-, @-, 89-, 72-, und Golf-Generation eh nie richtig durchsetzen konnte.

Nichts spricht indes dagegen, die jungen städtischen Professionellen in den wohlverdientenRuhestand zu schicken. Wie viele grauslige Innenausstattungsfilme hat man über sie schon gedreht? Wie oft hat man das unschöne Wort falsch geschrieben und mit dem Zusatz „Raus“ plus mehrerer Ausrufezeichen schon an den Außenwänden italienischer Feinkostrestaurants gesehen?

Das Wort Bobo an sich ist natürlich auch kein schönes. Die Assoziation mit Popo drängt sich selbst anal nicht fixierten Menschen zwangsläufig auf. Setzt man das Wörtchen „Berliner“ vor Bobo, wird zwar eine Alliteration, aber noch kein elegantes Bonmot daraus.

Außerdem müsste man erst überprüfen, ob es überhaupt schon Bobos in Berlin gibt. Glaubt man den Amerikanern, so verdienen Bobos vor allem im Internet ihr vieles Geld, wollen aber trotzdem ihre verlotterte Kleidung nicht ablegen. Sie schwärmen für exotische Kaffeesorten, umweltverträgliche Zahnpasta, sauer und bitter schmeckende Salate und fahren im Urlaub nach Italien, um vergilbte Bauerngesichter zu bestaunen und Ziegenmilch in den Kaffee zu tun. Stumpfes Grau ist ihre Lieblingsfarbe.

Doch spätestens hier beginnt die ganze Bobo-Theorie bereits zu wackeln. Die Sorte gibt es bei uns doch schon lange! Sie haben zwar nichs mit dem Internet zu tun, heißen dafür aber einfach „Lehrer“ oder „Grüne“. Ein Kunstwort musste für die nie geschaffen werden.

Die jungen, neuen Bobos sind in unserer Stadt noch nicht so präsent. Entweder es gibt eine schwer identifizierbare, speziell deutsche Ausformung des Bobotums, oder dieser Trend wird gar nicht erst angenommen. Um das herauszufinden, muss der soziologisch interessierte Laie Feldstudien in der Umgebung anstellen.

In meinem Bekanntenkreis gibt es zum Bespiel immer noch mehr Leute, die in exotischen Kaffeesortenläden ihr weniges Geld ausgeben, als durchs Internet reich Gewordene. Die Leute arbeiten nicht besonders hart, genießen aber schon gerne. Sie fahren Taxi, haben relativ schmucklose Wohnungen, aber immer öfter neue, schicke Handys. Sie gehen gern in schöne und schmuddelige Bars, in denen sie umsonst trinken können, und sie kämpfen zwei Tage vor Partys und Konzerten am Telefon unauffällig verbissen um Gästelisteplätze. Saure Salate sind eher unbeliebt, und Urlaub wird last minute oder in interessant verfallenen polnischen Ostseebädern mit sozialistischem Restcharme gemacht.

Ich glaube, dass sich die Amerikaner mit ihren Bobos ganz schön ins Fleisch geschnitten haben. Einen Exportschlager werden sie damit nicht landen können. Außerdem heißt Bobo auf Portugiesisch bescheuert, blöd. CHRISTIANE RÖSINGER