die stimme der kritik: Betr.: Freilaufende Menschen und Hunde in Feld, Wald und Flur
„Der tut nix“ und „Der will ja nur spielen“
Der Fallout der Kampfhunde-Debatte wird allmählich sichtbar. In Runner’s World, dem halb amtlichen Zentralorgan aller JoggerInnen, tobt der Kampf um Hund und Wade. Ein Erste-Hilfe-Kurs gegen rüde Rüden mit zwei schwer hundefeindlichen Artikeln unter den hübschen Überschriften „Dertutnix“ und „Er will ja nur spielen“ provozierte Wut und Entsetzen in der Hundehalterwelt. Jetzt eskaliert der Streit. „Wir beißen Ihren Hund ja auch nicht“, kläffen die Läufer und berichten über Pulsausschläge und Panikattacken, sobald sie sich einem arglos dreinschauenden „Dertutnix“ nähern. „Der tut Ihnen nix“, sagt prompt das Frauchen mit treuem Dackelblick. Und lächelt. Und schon – Sie ahnen es – stürmt ihr Schappi olympianormverdächtig hinter Läufers Wade her, um ihm den durchtrainierten Muskel oder – viel schlimmer! – seine sündteuren „New Balance“ mit Pronationsstütze, Absorb-Dämpfung und Blown-Rubber-Außensohle für den extrakomfortablen Auftritt zu zerfetzen. Das ist nicht schön.
Während „Dertutnix“ einem russischen Atomreaktor gleicht, ist „Der will ja nur spielen“ eher eine vierbeinige ETA-Zeitbombe, beide brandgefährlich. Dazu ein Läufer: „Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn ich eine wildfremde Spaziergängerin angrapsche mit der Erklärung, ich wollte nur ein bisschen spielen.“
Während die Jogger mit Ernstfall-Ratschlägen von Pfeffersprays bis zu Ultraschallgeräten und scharf klingenden „Aussss“-Kommandos Überlebenshilfe leisten, schwören die Hundebesitzer, dass ihre Tierchen „einen saftigen Rindermarkknochen allemal der zähen Sportlerwade vorziehen“. Und wie würde es denn bitte schön dem Herrn Läufer gefallen, wenn er mit monströsem Maulkorb und an der Leine festgezurrt stundenlang durch die Flur traben müsste. Das ist doch kein Leben! Außerdem seien alle Sportler Grobiane, die niemals „danke“ sagen, aber schon von weitem rumbrüllen: „Halt den Köter fest!“, anstatt artig anzufragen, ob der Halter im Zuge verbesserter Beziehungen nicht doch vielleicht sein ausgesprochen niedliches Hündchen vorübergehend der ledernen Arretierung anvertrauen könnte.
Ein Ausweg aus der Hundekrise, eine Art friedliche Koexistenz, scheint vorerst unmöglich, zumal Hund und Läufer ihr Recht auf artgerechte Freilaufhaltung mit Verve propagieren. Einziger Vorschlag: ein Blauhelm-Einsatz. Kofi Annan, übernehmen Sie!
MANFRED KRIENER
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