: Die Schüsse nicht gehört
■ Welt-Championat der deutschen Schäferhunde im Weserstadion / Geprüft werden Nervenstärke und Unbefangenheit trotz menschlicher Peinlichkeiten
Der Radweg zum Weserstadion war am Wochenende verstellt von Hundetransportern aus aller Welt, die zum Weltchampionat der deutschen Schäferhunde ihre kostbare Fracht anlieferten. Am Sonntag wurden nach dreitägigen Strapazen die Super-Wauwaus aus der Masse der 2.146 Hunde ausgewählt. Weltchampion der Rüden in der Gebrauchshundklasse ist Ursus von Batu und bei den Hündinnen freuen wir uns mit den Besitzern von Chipsi van de Herdersfarm!
Das Aussehen spielte bei dem Wettkampf eine untergeordnete Rolle. Natürlich müssen sich alle zum Verwechseln ähnlich sehen und wahlweise an „Kommissar Rex“, die vierbeinigen Gehilfen von Gestapo und BGS, oder an das hinter dem Jägerzaun lauernde Campingzubehör erinnern, das Vatis Videokamera bewacht und den Campingplatz Unbefugtenfrei hält.
Die Hunde, die am Wochenende die Trainingsanzüge in den Zwingerfarben hinter sich herzogen, hatten alle längst in anderen Wettbewerben bewiesen, dass sie „molto tipico“ sind, sonst wären sie zum Weltchampionat gar nicht zugelassen worden. Nun ging es darum, Charakter zu zeigen, selbst unter widrigsten Umständen Contenance zu bewahren. Schäferhunde sind, laut Presseinformation des Vereins für deutsche Schäferhunde, „physisch und psychisch hoch belastbar ... Ein gutes Nervenkostüm, Selbstsicherheit und Unbefangenheit sind weitere Kriterien für einen zuchtfähigen Schäferhund.“
Unbefangen zu bleiben ist manchmal gar nicht so leicht. Das beginnt häufig bereits beim Namen. Wer heisst schon gerne Commander von der Mäusespitz oder Hobby vom Gletschertopf? Und dann das sogenannte Richten. Auf der Hälfte eines Fußballfeldes werden bis zu 50 Hunde vorgeführt. Die RichterInnen lassen die Hunde samt Leinenfortsatz so lange im Kreis herumlaufen und -rennen, bis auch der letzte Hund einen Platz in der Hitliste bekommen hat. Wer einen guten Eindruck hinterlässt und hoch plaziert wird, muss in den nächsten „Ring“, wo er auf die anderen Streber trifft und das Spiel von vorne losgeht, bis nur noch eine kleine Gruppe übrigbleibt, aus deren Kreis der Champion gewählt wird.
Der ist dann wahrscheinlich taub, denn während des Vorführens wetzen die BesitzerInnen um den Ring herum und brüllen die Hunde an. Andere benutzen Hupen und Tröten oder selbstgebastelte Rasseln aus Tupperdosen mit Hundekuchen – es wird geträllert, gepfiffen und geschnalzt. „Dann sehen die Hunde schön aufmerksam aus und stehen unter Spannung“ erklären mir drei Damen von der Vereins-Ortsgruppe Bordesholm in Schleswig-Holstein.
Ob man den Hunden nicht einfach Koks unters Futter mischen könne, um sie fit zu machen, frage ich und denke dabei an den Ausnahme-Rüden Benjamin von Stuckrad-Barre. Die Damen sind überrascht, auf die Idee scheinen sie noch nicht gekommen zu sein. Doping-Kontrollen gäbe es zwar nicht, aber es könnte ja passieren, dass der Schuss nach hinten losgeht und der Hund zusammenbricht. Geschossen wird übrigens auch: Mit Platzpatronen, um die Nervenstärke zu testen.
Aber auch wer nicht an diesem ohrenbetäubenden Spektakel teilnehmen muss, ist vor Stress nicht gefeit. Im dichten Gedränge der Zeltstadt gilt es kapitalen Hundehaufen auszuweichen und den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren angesichts des käuflich zu erwerbenden Unfugs. Für 150 Mark gibt es ein Video über den Deck-Rüden Ulk von Arlett und andere Samenspender. Andere Stände verkaufen Schutzanzüge zum Reinbeißen, Spielzeug und Fan-Artikel. Futter gibt es in der High-Tech-Variante und für Naturkostfreunde unbehandelt aussehende Rinderschnauzen, Schweineohren, Kalbsfüße, Luftröhren und einen Meter lange „Ochsenziemer“. Das sind getrocknete Rinderpimmel. Die Belastbarkeit von Hund und Mensch wird also rund um die Uhr geprüft und wer auch nach drei schlaflosen Nächten neben dem Wohnmobil auf dem Café-Sand Parkplatz noch halbwegs munter aus der Wäsche schaut und dem Richter nicht ans Bein pinkelt, verdient aufrichtige Bewunderung.
Eiken Bruhn
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