: „Regeln? Welche Regeln?“
Sie lieben ihn nicht, sie hassen ihn auch nicht, denn das tägliche Durchwursteln ist schwer genug: Leben unter Präsident Kabila in Kongos Hauptstadt
aus Kinshasa PETER BÖHM
Die Frauengruppen sind als erste da. Dann kommen die ersten Mitglieder der „Komitees der Macht des Volkes“ (CPP) aus den Stadtteilen. Viele tragen bunte Hemden mit dem Konterfei ihres Präsidenten Laurent-Désiré Kabila. Auf einem ihrer Transparente steht: „Mit L. D. Kabila ist uns der Sieg sicher.“ Zur der Demonstration hatte am Vorabend das staatliche Fernsehen aufgerufen. Start sollte um 7.30 Uhr sein. Aber vier Stunden nach dem angekündigten Beginn haben sich an diesem Samstag Vormittag gerade mal ein paar hundert Leute angesammelt.
Dann wird der taz-Korrespodent bedrängt. „Der Westen steht hinter der ugandisch-ruandischen Aggression“, lässt er sich aufklären. „Deshalb wird der Hass gegen die Weißen schrecklich sein.“ Anschließend wird der Korrespondent grundlos festgenommen und nach 40 Minuten auf dem Revier einer Sondereinheit am Bahnhofsvorplatz von einem Mann in Zivil mit einem Betonbrocken beworfen. „Ich rate Ihnen dringend, zu gehen“, sagt der Polizeichef vor Ort. Schließlich marschieren gut 1.000 Leuten den „Boulevard des 30. Juni“ entlang, die belebte Hauptgeschäftsstraße von Kongos sechs Millionen Einwohner zählender Hauptstadt. Am Abend spricht der staatliche Rundfunk von einem „grandiosen Marsch“.
Kongolesen in tiefer Apathie
Umgekehrt proportional zu der Masse patriotischer Plakate, mit denen Kinshasa bepflastert ist, sind die Kongolesen in eine tiefe Apathie verfallen. Zwar hassen sie Kabila nicht, aber sie lieben ihn auch nicht. Gut drei Jahre ist er jetzt in Kinshasa an der Macht, und er ist seinem vormaligen Todfeind Mobutu Sese Seko sehr ähnlich geworden. Nicht nur die Phrasen sind so hohl und die Menschen so resginiert wie früher – Kabila stützt sich sogar auf die selben Personen und Strukturen. Mobutus einstiger Berater Dominique Sakombi hat ihm mit den CPP-Volkskomitees eine der Mobutu-Einheitspartei MPR gleichende Organisation geschaffen. In der Theorie haben nun jede Straße, jedes Viertel und jede Gemeinde eine gewählte Regierung und ein Parlament. Das referiert Achille Tshibangu, CPP-Mitglied im Viertel Assossa der Gemeinde Kasavubu in Kinshasa, aus einer abgegriffenen Broschüre, der Verfassung der CPP.
Tshibangu ist „Energieminister“ des Viertels und hat die Aufgabe, bei Stromausfällen den Schaden zu finden. Dann soll er Geld bei den Anwohnern sammeln und die zur Reparatur notwendigen Ersatzteile kaufen. Anschließend soll er zum staatlichen Stromversorger SNEL gehen, der dann theoretisch jemanden schickt.
Das erzählt der Student der Wirtschaftswissenschaften ohne jegliche Ironie und verhehlt auch nicht, dass sein Komitee mit gewissen Unwägbarkeiten zu kämpfen hat. Im Mai hatte jedes Viertel von der Regierung umgerechnet 180 Mark für ein „Miniprojekt“ bekommen. Der „Präsident“ einer Straße – ein Bäcker, der pleite gegangen war – schlug also vor, einen Sack Mehl zu kaufen und Plätzchen zu backen. Er würde 30 Prozent des Erlöses erhalten, das Komitee 70 Prozent. „Der Gewinn war so gut wie null“, sagt Tshibangu. So naiv sind nicht viele Komiteemitglieder. Sie tun, was die meisten Kongolesen tun würden, und was viele als erstes über das Komitee ihres Viertels erzählen. Sie stecken das bisschen Geld, das inzwischen noch von der Regierung zu den CPP heruntersickert, in die eigene Tasche, und die Komitees beschränken sich auf jene Aufgabe, zu der sie wohl ursprünglich gegründet worden waren: ihre Nachbarn ausspionieren und an die Sicherheitskräfte denunzieren.
Kabilas wirtschaftliche Bilanz ist verheerend. Bei seiner Einführung im Frühsommer 1998 war ein kongolesischer Franc, Ersatz für Mobutus Zaire-Währung, noch mehr wert als ein US-Dollar. Heute kriegt man auf dem Schwarzmarkt für einen Dollar 63 Franc, der offizielle Wechselkurs liegt bei 23. Nach einer Untersuchung der Menschenrechtsorganisation ASADHO hat sich der Preis für das Grundnahrungsmittel Maniok im ersten Halbjahr verdoppelt, der anderer Nahrungsmittel wie Zucker versiebenfacht. Diese galoppierende Inflation treibt die Regierung mit der Notenpresse an, um die Staatsausgaben zu decken.
Gehalt reicht nur für wenige Tage
„Das Gehalt eines Beamten deckt die Kosten von zwei, drei Tagen eines Monats“, sagt Amigo Ngonde von ASADHO. „Morgens kommen sie für eine Stunde ins Büro. Die meisten gehen dann noch zu einem zweiten oder dritten Job. Oder sie haben ein kleines Feld.“
Mputu Mbayas Mann ist ein kleiner Beamter im Ministerium für Soziales und Kultur. Nach dem augenblicklichen Schwarzmarkt-Kurs verdient er sieben Dollar im Monat – besser gesagt: Das würde er verdienen, wenn er nicht wie fast alle Staatsangestellten schon seit drei Monaten auf sein Gehalt warten müsste. Mputu Mbaya lebt mit ihm und sieben Kindern in der Gemeinde Masina im Osten Kinshasas und sagt: „Erhöht wurde sein Gehalt zum letzten Mal vor einem Jahr. Das reicht vorne und hinten nicht.“ Von halb sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends steht sie daher an einem Stand an der Straße und verkauft Brot, Gemüse und Süßigkeiten. „Wir haben nichts gegen Kabila“, berichtet die 36-Jährige. „Wir wollen nur, dass es Ruhe im Land gibt, dass der Krieg aufhört, dass die Kinder in die Schule gehen können, und dass wir genügend zu Essen haben.“ Die Mbayas essen einmal am Tag – abends, damit sie schlafen können. Morgens verlassen alle hungrig das Haus.
Zwei ihrer kleinen Kinder gehen in die Grundschule um die Ecke – eine der besseren in Masina, wie der Rektor Jean Pierre Kabongo versichert. Anhänger der Freikirche „Heiliges Licht“, die die Schule betreibt, haben fast den gesamten Schulhof mit Maniok bepflanzt. Die Lehrer werden vom Staat bezahlt. „Sie unterrichten meistens in drei oder vier Schulen“, berichet Kabongo. „Von den Eltern bekommen sie nur eine so genannte Motivation“ – rund ein Viertel ihres Gehaltes, dazu gedacht, dass sie auf ihrem Weg zur Schule öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Motivation ist nötig, wenn man in Kinshasa mit dem Bus fahren will: Die Straßen sind gesäumt mit Trauben von Menschen, die oft ein, zwei Stunden auf den Bus warten. Wenn einer kommt, stürmen sie alle gleichzeitig auf ihn zu.
In der Schule ist die Krise unübersehbar. Es gibt keine Tische und Bänke. Manche Kinder müssen am Boden sitzen, andere bringen einen Stein mit oder einen Holzblock. Anfang der 90er-Jahre seien hier noch 600 Kinder in die Schule gegangen, berichtet der Rektor. Heute sind es 200. „Die Kinder sagen uns oft, dass sie krank sind. Aber wenn man ein bisschen nachfragt, kommt heraus, dass sie oft schon lange nichts mehr gegessen haben.“
Was es in Kinshasa im Überfluss gibt, sind Polizisten. An fast jeder Ecke der Hauptstadt findet sich ein in den Nationalfarben Gelb und Blau gestrichener Polizeiposten. Nach einer UN-Zählung gibt es in Kabilas Kongo 13 voneinander unabhängige Sicherheitsdienste.
Sicherheitsleute gibt es an jeder Ecke
In ihnen finden sich besonders viele Leute aus Kongos Südprovinz Katanga, aus der Kabila stammt. Auch die Polizisten, die den taz-Korrespondenten festnahmen, kamen von dort. Floribert Chebeya, ein prominenter Menschenrechtsaktivist, erhielt vor seiner letzten Freilassung von einem Beamten der übergeordneten Polizeibehörde CES die Warnung: „Sollten wir Katanger die Macht verlieren, werden wir zuvor noch Leute wie dich beseitigen.“
Bleibt eigentlich nur noch die Flucht. Davor stehen jedoch noch die ausgehungerten Grenzbeamten am Flughafen. Zwei Beamte der Einwanderungsbehörde DGM durchsuchen das Gepäck, finden erfreut das Papier einer Menschenrechtsorganisation über willkürliche Verhaftungen und versuchen damit in ihrem Büro zwanzig Minuten lang aus dem taz-Korrespondenten ein paar Dollar herauszupressen. An der Passkontrolle schnattert der eine Beamte pausenlos über deutschen Fußball, während sein Kollege fieberhaft die berüchtigte Liste derer durchsucht, die nicht ausreisen dürfen. Das Mädchen hinter der Röntgenanlage fragt: „Was lassen Sie mir als Geschenk da?“ Und als das nichts nutzt: „Aber das Radio schenken Sie mir doch!“ – „Aber Madame, wir sollten uns an die Regeln halten!“, kriegt sie zur Antwort. Darauf sie: „Welche Regeln?“
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