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Nazis in den Bankrott treiben

Weil Mitglieder der Aryan Nation Victoria Keenan und ihren Sohn zusammengeschlagen haben, soll die Organisation nun Schmerzensgeld zahlen

aus Washington PETER TAUTFEST

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen begann am Montag in Coeur D’Alene, einer Kreisstadt im abgelegenen Nordwesten des Bundesstaats Idaho, ein Prozess, der weit reichende Folgen für die Aktionsfreiheit von Neonazis in Amerika haben könnte. Das in Alabama beheimatete Southern Poverty Law Center (SPLC), eine antirassistische Bürgerrechtsvereinigung, hat Amerikas stärkste Naziorganisation, die „Aryan Nation“, auf Schadenersatz in unbestimmter Höhe verklagt. „Was wir versuchen, ist ihnen die Geschäftsgrundlage zu entziehen“, sagte Morris Dees, Anwalt und Gründer des SPLC.

„So ist heute die Lage für den weißen Mann“, klagt dementsprechend Richard Butler weinerlich, der Begründer der Aryan Nation und Besitzer der Pseudofirma „Saphire Inc.“, deren Gelände und Gebäude am Rande des malerischen Hayden Lake als „Walhalla amerikanischer Nazis“ gilt, wie sich der Nachrichtensender CNN ausdrückt. Berüchtigt ist das umzäunte Gelände wegen des infamen Schildes an seinem Tor: „Nur für Weiße“. „Das ist eine Vergewaltigung unseres Rechtssystems“, meint Butler, 82, zu dem Prozess.

Der Hitlerverehrer steht der „Christlichen Kirche Jesu Christi“ vor, die nur Weiße als Kinder Gottes ansieht und Juden sowie Schwarze für Abkömmlinge des Satans hält. Mit Butlers Verein verbinden sich solche Namen wie Buford Furrow, der im vergangenen Jahr außerhalb von Los Angeles das Feuer auf eine jüdische Kindertagesstätte eröffnete und einen philippinischstämmigen Postboten erschoss. „Es wäre wunderbar, diese Leute los zu sein“, sagt zu dem Prozess Brenda Hammond, eine Bürgerrechtsaktivistin nördlich des Hayden Lake, „Leute dunkler Hautfarbe trauen sich wegen des schlechten Rufs dieser Gegend nicht her.“

Amerikas Verfassung erlaubt es nicht, Nazigruppen wegen ihrer Propaganda zu verklagen, die Freiheit der Rede gilt in Amerika auch für Antisemiten, Rassisten und Hitlernarren. „Hate Crime“ wird verfolgt, nicht „Hate Speech“. Das amerikanische Zivilrecht aber erlaubt – ganz unabhängig von strafrechtlicher Relevanz – Klagen von Gewaltopfern. Berühmt wurde die Zivilklage gegen O. J. Simpson, der von einem Strafgericht freigesprochen worden war.

Morris Dees hat in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolgreich das amerikanische Rechtssystem gegen rechte Terrorgruppen angewandt. 1987 erwirkte er ein damals als sensationell angesehenes Schadenersatzurteil von 7 Millionen Dollar gegen eine Ortsgruppe des Ku Klux Klan. Zwei Mitglieder hatten in Mobile, Alabama, einen schwarzen Jugendlichen ermordet. Dees klagte auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Die Mutter des Ermordeten bekam die gesamte bewegliche und unbewegliche Habe des Ku Klux Klan. Der Ku Klux Klan ist seit dem eine weitgehend unbedeutende Organisation.

1990 erwirkte Dees Schadenersatz in Höhe von 12,5 Millionen Dollar gegen die Gebrüder Metzger aus Portland, Oregon. Sie hatten die „White Aryan Resistance“ (WAR) gegründet und Unmengen rassistischen Materials über das Internet verbreitet. Selber hatten sie niemandem etwas getan, drei jugendliche Skinheads aber, bei denen nach ihrer Festnahme Material von WAR gefunden worden war, hatten einen Flüchtling aus Somalia mit einem Baseballschläger zu Tode geprügelt. Dees wies vor Gericht erfolgreich nach, dass WAR mit seinem Material die Jugendlichen inspiriert und indirekt zu ihrer Tat angestiftet hatte. In Texas musste eine von Dees verklagte rassistische Gruppe ihre gesamte Mitgliederkartei zerstören.

Das Walhalla unterm Hammer?

Bei dem am Montag in Coeur D'Alene eröffneten Prozess geht es um einen Vorfall aus dem Jahre 1998. Victoria Keenan und ihr damals 18-jähriger Sohn Jason – sie weiß, er Indianer – waren mit ihrem Auto in der Nähe des Aryan-Nation-Geländes unterwegs gewesen. Nach Auskunft der Keenans hatten sie ihren Wagen anhalten und nach einem verloren gegangenen Portemonnaie suchen müssen. Als es beim Neustart des Motors eine Fehlzündung mit lauten Knall gab, setzte sich ein Lastwagen mit Wachen der Aryan Nation in Bewegung, die glaubten einen Schuss gehört zu haben. Sie verfolgten ballernd die Keenans, deren Wagen, mehrfach getroffen, im Graben landete.

Victoria Keenan wurde an den Haaren aus dem Wagen gezerrt, beide wurden geschlagen, zeitweilig festgehalten und schließlich in Ruhe gelassen, weil Victoria Keenan weiß ist. Jetzt klagt SPLC wegen Traumatisierung, und der Richter hat eine Klage sowohl auf Schadenersatz wie auch auf Strafgelder zugelassen. Die Klage wird vor einem Geschworenengericht verhandelt, das auf mehrere 100.000 Dollar Schadenersatz und Strafe erkennen könnte, woraufhin das Walhalla der Aryan Nation unter den Hammer käme.

Morris Dees spricht zur Zeit nicht mit der Presse, weil er sich seine Argumente für das Gericht aufsparen will. Butler gewährt Interviews nur gegen eine großzügige Spende für seinen Verteidigungsfonds. Sein Anwalt Edgar J. Steele verbreitet im Internet eine Erklärung, in der er behauptet, in anonymen Telefonanrufen einerseits von Leuten mit „New Yorker jüdischem Akzent“ bedroht worden zu sein. Gleichzeitig will er aber auch selber als Jude beschimpft worden sein. Auch seine Kinder seien bedroht worden und trauten sich jetzt nicht mehr, draußen zu spielen.

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