: Damengruppen aus Fernost
■ Rat und Tat für den Zeit-Nomaden: „zeiten:der:stadt“ iin der Unteren Rathaushalle gibt sich bürgernah und ganz schön trendy / Dennoch bleibt die Ausstellung zu kopflastig
Überall Doppelpunkte. Seit Sonntag ist in der Unteren Rathaushalle eine Ausstellung zu sehen, die schon in der Schreibweise ihres Titels trendy ist – „zeiten:der:stadt“. Das sieht gut aus, wirkt modern und total pluralistisch. EXPO eben. „zeiten:der:stadt“ ist ein „regis-triertes Projekt der Weltausstellung“. Schauen wir nach, was sich hinter den Doppelpunkten verbirgt.
Eine Notrufsäule zum Beispiel. Sie ist ganz neu, schön polizeimäßig grün und sie hat einen Hebel. Wenn man ihn nach unten drückt, ertönt die Stimme des Volkes. „Die Polizei sollte erlauben, mir privat eine Pistole zu kaufen“, fordert sie. Oder: „Sie sollte aufhören, mich auf Demos zu fotografieren.“ Wir lernen, dass die Menschen unterschiedliche Wünsche hinsichtlich ihrer polizeilichen Betreuung haben. Nebenan quadratmeterweise exekutive Selbstdarstellung.
Man fragt sich, was dies alles mit dem Faktor „Zeit“ zu schaffen hat. Ein Blick in das Buch zur Ausstellung verrät, dass wir uns im Projektbereich „Poli:Zeiten“ befinden. Am Beispiel der Kontaktpolizisten im Bremer Westen soll die Polizeireform „unter Zeitgesichtspunkten, insbesondere der Abstimmung der internen Dienstplangestaltung mit den bürgerseitigen Präsenzanforderungen, dargestellt werden. Und das Schönste: Wir befinden uns in „partizipativer Interaktion“ mit den in den Projekten arbeitenden Menschen, da wir an ihren Erfahrungen teilhaben! Die Ausstellung (Materialkosten: 150.000 Mark), die in erster Linie von Mitarbeitern der Angestelltenkammer und einem freien Gestalter erarbeitet wurde, macht in Bürgernähe.
Bei alldem beschleicht einen jedoch das Gefühl, das für „zeiten:der:stadt“ bereits bestehende Projekte unter ein gemeinsames konzeptionelles Dach gezwängt wurden, um EXPO-kompatibel zu werden. Polizeireform, Bürgerämter, Verlässliche Grundschule oder das Vegesacker Zeitbüro – das alles hat mehr oder minder mit dem Aspekt „Zeit“ zu tun. Und der liegt bei Feuilletonisten oder den vielen akademischen Schlaumeiern, die sich über die Postmoderne Gedanken machen, schwer im Trend.
Die Stichworte heißen Flexibilisierung, Deregulierung, Globalisierung: Der Normalarbeitstag wird zur Ausnahme, der Mensch zum „Nomaden zwischen verschiedenen Zeitmustern“. (Begleitbuch). Neue Zeit-Vereinbarungen zwischen Bürgern und wichtigen „Taktgebern“ – Betriebe, Behörden, ÖPNV etc. – sind gefragt.
In der Unteren Rathaushalle nomadisieren jedoch vor allem Touristen, die sich auf der Suche nach der oberen Rathaushalle auf die untere Ebene verirrt haben. Vogelschwärmen gleich schwirren Damengruppen aus Fernost durch den Raum. Und sind schon wieder verschwunden. Das mit leibhaftigem Personal ausgestatte „Bürgeramt“ hat bis Dienstag noch keinen einzigen gelben Sack ausgegeben.
Doch genug gemeckert. Zwischen all den runden, eckigen, gefalteten Stellwänden gibt es diverse Möglichkeiten, aktiv zu werden. Man kann Zettel mit seinen Zeitwünschen auf eine Platte nageln, bunte Klötzchen bewegen, Karten spielen, Ranzen mit Lob und Tadel zur „verlässlichen Grundschule“ beladen. Es gibt inszenatorische Elemente, Projektionen, Medien für Ohr und Auge. Trotzdem bleibt „zeiten:der:stadt“ zu kopflastig. Ob ein – zeitraubender – Besuch lohnt, muss jeder Zeit-Nomade selbst entscheiden. hase
zeiten:der:stadt, Rathaus, Mo-Fr 10-20, Sa 10-16 Uhr.
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