: Wunderkerzen und kein Wunder
■ Zum ersten Mal in Bremen: „The Rocky Horror Show“ hatte im Waldau-Theater Premiere, ohne Schloss, aber mit tollen Stimmen
„Was passiert hier?“ fragt Janet, als sie entdeckt, dass sie sich in den Händen des unheimlich verführerischen Schlossherrn Frank 'N' Furter befindet. Die Antwort ist unerwartet enttäuschend: Hier wird ein starkes Stück verschenkt.
Hans Neblung und seine Crew setzen mit ihrer Bremer Version der Rocky Horror Show nicht auf die wilden Figuren einer frechen, brillant gebauten Story, sondern auf gute Stimmen und eine erstklassige Band: Das Ergebnis ist eine Nummern-Revue zum Mitsingen und Mitmachen. Das Premierenpublikum war in bester Laune und ließ sich gern drauf ein. Bevor Janet (Kaatje Dierks) und ihr Verlobter Brad (Martin Niedermair) die Reise durch den dunklen Wald antreten, fliegen die Reiskörner im ganzen Saal. Bevor sie vom Gewitterregen überrascht werden, sitzen schon die Zeitungshütchen auf mehreren hundert Köpfen und Wasser spritzt von allen Seiten. Im richtigen Moment flackern Wunderkerzen und die von der Hansa-Welle ausgeteilten Taschenlämpchen werden geschwenkt.
Alles funktioniert an diesem Abend und der Beifall am Ende war lauter Jubel. Aber etwas Entscheidendes gelingt dem Ensemble (noch?) nicht: mit spielerischem Witz eine Geschichte zu erzählen. Das liegt nicht am weitgehenden Verzicht auf üppige Bühnenbilder und Requisiten – man braucht kein Auto auf der Bühne, um die Panne im regennassen Gewitterwald und die Hilflosigkeit des einsamen Pärchens zu zeigen. Auch das transsylvanische Lustschloss darf so kühl und reduziert daherkommen wie hier im Waldau-Theater: Eine Art Baugerüst, auf dem Dach sitzt – gut platziert – die fünfköpfige Band, im Hintergrund der Szene ein metallisches Rolltor, hinter dem sich das Labor verbirgt. Eine stimmige Großstadt-Garagen-Szene.
Aber was passiert, wenn die beiden braven Verlobten beim ersten Blick auf die fremden Schloss-Gäste reagieren, als würden sie jeden Abend gewohnheitsmäßig zu Orgien in Strapsen geladen werden? Dann ist der Witz aus dem Geschehen heraus.
Regisseurin Ricarda Regina Ludigkeit verzichtet so konsequent auf jegliche szenische Spannung, dass der Eindruck entsteht, die Story tauge gerade noch als bloßer Stichwortgeber der Musik. Nicht nur Brad, auch die meisten anderen Figuren sind flach gezeichnet: Rocky (Licio Mariani), die Kunstfigur, die Frank 'N' Furter zum eigenen Vergnügen erschafft – und hier aus dem Cola-Automaten zieht –, ist ein blasses Milchgesicht (weder spielerisch noch stimmlich überzeugend), ein blonder Jung-Siegfried ohne jede Spur von knis-ternder Erotik. Frank 'N' Furters Ex-Darling Eddy (Dominik Orth) ist kein schmutzig-schmuddeliger Rock'n'Roller, keine mächtige Figur auf dem Motorrad, sondern ein harmloses Leichtgewicht, das man sich auf einer schweren Maschine gar nicht vorstellen könnte. Warum Frank 'N' Furter ihn um die Ecke bringen muss, bleibt unklar. Wie er getötet und sein Kopf den anderen transsylvanischen Gästen als Speise vorgesetzt wird, das wird kurz und lieblos angedeutet. Nein, dieses Lustschloss hat nichts mehr mit den Abgründen der Lust zu tun. Hier wird nur noch abgehakt, damit die Songs in der richtigen Reihenfolge geboten werden können.
Möglicherweise ist das eine klug kalkulierte Entscheidung: Es kann ja sein, dass sich niemand mehr für diese Geschichte interessiert. Also reicht es, wenn der Erzähler (Markus Finkler) angestrengt überdeutlich spricht und wie ein schlechter Charge ohne einen Funken Ironie die Fäden der Story vorstellt. Und wenn er von den „in Raum und Zeit verlorenen Menschen“ redet, will man ihm kein Wort glauben. Also reicht es, wenn das Ensemble einigermaßen dekorativ (und nicht immer besonders einfallsreich) die SängerInnen tänzerisch begleitet. Dann macht es auch nichts, wenn die doppelte Bett-Szene, in der Frank 'N' Furter erst Janet, dann Brad besteigt, völlig entgleist.
Es macht nichts, solange alle nur ungeduldig auf den nächsten Song warten: Darin liegt die Stärke dieser Truppe. Die meisten können singen, hervorragend neben Hans Neblung vor allem Kaatje Dierks als Janet. Die fünf Musiker (Lars Hierath, Matthias Petereit, Olaf Setzer, Matthias Straß unter der Leitung von Peter Stolle) holen aus der Musik, mal rockig, mal ruhig, im gekonnten Zusammenspiel alles heraus.
So ist dieser Abend als zweistündiges Musical-Konzert mit Showeinlagen gelungen, aber nicht als Musiktheater. Böse gesagt: Die Rocky Horror Show ist in der Spaßgesellschaft angekommen und dort im Flachen gestrandet. Nur Hans Neblung als sweeter Transvestit und der Schauspieler Martin Kemner als sein dämonischer Türsteher Riff Raff vermitteln etwas von dem subversiven Charme, den dieses Stück ausstrahlen kann, wenn es wirklich inszeniert wird, wie es Dirk Böhling vor vier Jahren in Bremerhaven glänzend vorgemacht hat: Richard O'Briens Musical-Klassiker ist nicht totzukriegen, aber seine scharfe, wilde Mischung aus Trivialmythen lebt nicht nur von den noch immer unverbrauchten Songs, sondern auch von dem, was durch sie hindurch und mit der Story erzählt wird: „Don't dream it - be it.“
Hans Happel
Weitere Aufführungen im Ernst-Waldau-Theater: ab 24. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen