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Gesprächs-Partikel im Riesenhirn

■ Er will und soll nicht sortiert werden: Der Wortschwall in der „Filiale für Erinnerung auf Zeit“ in den Kammerspielen

Sie ist aalglatt, bildschirmglatt, die Benutzeroberfläche. Es sieht so aus, als redeten die alle irgendwas daher, von dem man letztlich ausgeschlossen bleibt, weil es die Gespräche nicht interessiert, ob man ihnen lauscht. Es scheint, als ob man frei wäre zu kommen oder zu gehen, als ob es einen nicht weiter zu berühren brauchte, was auf den Riesenmonitoren im Bühnenraum der Kammerspiele passiert.

Und doch hat es System, das Mosaik aus Köpfen von Schlingensief (Zentrum), Oroschakow (unten) und Deutschbauer (oben) und anderen Plauderern. Denn es sind nicht nur die Bildschirme, auf denen das Publikum in der Filiale für Erinnerung auf Zeit Gesprächen lauschen kann; die Monitore spiegeln auch die Struktur des Hauses vom Keller bis zum Dachboden.

Ein (Gesprächs-)„Partikelgestöber“ hätte Celan das genannt, was aus den Mündern von Sigrid Sigurdsson, Hannes Heer, Alexander von Plato und anderen auf einen zuweht; Fahrigkeit ergreift einen allerdings nicht: Denn die kopfhörerbewehrten Besucher haben nicht Lust, ständig von Gespräch zu Gespräch zu zappen, man lässt sich nicht durch das Gelächter der Schlingensief-Fans in seiner Konzentration auf Oroschakows Berichte stören. Vielleicht ist die Konzentration ein Schutzreflex angesichts der Vielfalt; vielleicht spüren Einzelne bei der Führung durchs Haus auch jene fast hypnotische Erinnerungs-Atmosphäre in Schreinerei und Stellwerk, die wirkt, als näherten sich in den Windungen eines Riesenhirns von überall her Stimmen aus der Vergangenheit.

Das Haus arbeitet sich ab an der Kindheit Schlingensiefs, an den Flucht-Erinnerungen von Edith Schütrumpf und den „offenen Archiven“ der Sigrid Sigurdsson. Der Keller lauscht den Erzählungen des in Sofia geborenen Haralampi G. Oroschakow, dessen Familie ständig im Exil lebte und sich stark über ihre ihre Vorfahren definierte. Und genau deshalb sammelt er wieder Zeugnisse osteuropäischer Geschichte. Manchmal nimmt er sie aus der Sammlung und integriert sie in Installationen, damit sie neue Kontexte entwickeln– soweit Bilder überhaupt mit einander kommunizieren können.

Und sie können es, behauptet Wolfgang Ernst im Gespräch mit Harun Farocki, und zwar im digitalen Raum, denn „der trägt ganz andere Kriterien an die Bilder heran“. Und wenn man jetzt noch frei assoziiert, was Schlingensief, den man zum Thema leider nicht belauschen konnte, jetzt gesagt hätte – dann wäre man im eigentlichen Sinne kreativ gewesen. Aber war das überhaupt der Sinn der Aktion?

Petra Schellen

noch heute und morgen jeweils 18 - 22 Uhr, Kammerspiele

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