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Bullshitting-Alarm

Das Ganze noch mal von vorn: Re:build, Re:frame, Re:invent. Die Berlin Beta in ihrer dritten Version

von SEBASTIAN HANDKE

Bullshit Bingo – so könnte die neue Disziplin heißen, die das Jagdmachen auf Moorhühner als Ablenkungsstrategie für Morgenmeetings bald ablösen könnte. Man erstelle eine Liste sinnleerer Neologismen und Anglizismen aus dem Sprachspiel der „new economy“ und mache jedes Mal ein Kreuzchen, wenn einer dieser Begriffe gefallen ist. Je nach Branche wird es nicht lange dauern, bis ein Anwesender laut Bingo rufen kann. So stellt sich das jedenfalls Metadesign-Gründer Erik Spiekermann vor.

Wenn sich – wie dieser Tage geschehen – Jungunternehmer, Programmierer, Interfacegestalter und andere Medienmenschen zusammentun für ein Festival und einen Kongress, dann gilt wirklich allerhöchster Bullshitting-Alarm: viel heiße Luft um Start-ups, Streamlining und Erlebnisdesign sowie ein lächerlich klein geratener Messebereich, in den sich kaum ein Jungdynamiker verirren mochte. Aber es ist kein Zufall, dass der Titel der Veranstaltung einen Begriff aus dem Computerjargon verwendet, der wahrscheinlich auf keiner Bingo-Liste auftaucht. Beta ist das Gütezeichen für Unfertiges und Instabiles. Von Beginn an ging es um den Kontakt zwischen Gestaltern und Geldgebern. Doch seit dem ersten Berlin-Beta-Treffen, das vor zwei Jahren noch eher den Charme einer ostigen Alphaversion hatte, ist das Mischungsverhältnis ein anderes als beispielsweise auf der Popkomm. Hier sind die Kreativen noch in der Überzahl.

Dass sich der hysterische Glanz des neuen Markts zwar bereits breit gemacht hat, war nicht zu übersehen, und das Haus der Kulturen bietet ja auch ein wenig mehr Glamour als die Kongresshalle am Alex. Doch nach dem „Shakeout“ – der Kurskorrektur am Börsenindex für Internetaktien – macht sich auch hier so etwas wie unternehmerische Unsicherheit breit. Dafür sprechen auch die Bezeichnungen der Themenbereiche, allesamt mit der aussagekräftigen Vorsilbe „re“ ausgestattet: Re:build, Re:Frame, Re:invent – also das Ganze noch mal von vorn.

Dann ist es auch möglich, Sprecher einzuladen wie den Star-tup-Versager Nicholas C. Hall. Nach drei fehlgeschlagenen Unternehmensgründungen gründete er startupfailure.com. Gut gelaunt und mit einer ordentlichen Portion sozialdemokratischem Charme präsentierte er seinen 6-Punkte-Plan für nachhaltiges Unternehmertum: Wie kann ich erfolgreich sein und trotzdem ein Leben führen? Burnout-Selbsthilfe für gescheiterte Netzprofiteure.

Wie schon im letzten Jahr gab es auch diesmal einen Architektur-Schwerpunkt, ein Feld, in dem die Grenzen zwischen Reality und Virtual Reality besonders stark verwischt werden. Re:materialize musste diese Abteilung denn wohl auch betitelt werden, in der man sich um so handfeste Dinge wie „Stadt und Architektur im Fluss des Informationszeitalters“ kümmern wollte. Aus dem Monolab Rotterdam war Jan Willem van Kuilenburg angereist, um seine Infrabodies vorzustellen. Seine Idee einer „exponentiellen Urbanität“ brachte mit visionärer Bestimmtheit und detailverliebtem Humor den Saal schnell auf seiner Seite: abstrakte Modelle von geschichteten Wohn- und Dienstleistungskompressoren in den Brachen der Stadt nehmen den Kampf auf mit der Verbreitung urbaner Masse. Das ebenfalls in Rotterdam angesiedelte UN Studio zaubert aus computergestützter Datenanalyse Bauten für die „City of Flows“: tropfenförmige Konzerthäuser und Bahnhöfe, errechnet aus Statistiken über den Fluss der Menschenströme. Beide Konzepte zeigen deutlich, wie der Computer die Arbeit der Architekten verändert und dass das nicht zwangsläufig in CAD-Monstern wie dem Sony Center am Potsdamer Platz enden muss.

Die Podien und Vorträge von Finanz und Kreativität fanden sauber getrennt statt. Wer zwischen den Orten hin- und herzappte, bekam ein Gespür dafür, wie weit die Hoffnungen auseinander liegen, die mit dem Internet verbunden werden. Während in Halle 1 Derrik de Kerkhove im Laufe seiner mit akademischer Sorgfalt vorgetragenen Einführung in den heutigen Stand McLuhan’scher Medientheorie die Telekommunikationskonzerne dieser Welt auffordert, in jeder Stadt „global village squares“ zu errichten, in denen kostenlose Fernkommunikation ermöglicht wird, erklärt auf der anderen Seite Trendscout Florian Peter, wie man via Internet die kritische Masse erreicht.

Aber man hat ja noch Ausstellung, Filmfestival und Clubevents: Businesspublikum, Gestalter und Partygänger sollen sich dort mischen. Mit der Konvergenz ist das aber so eine Sache. Da hat man auf der einen Seite die Geldhabenden, die ihren Vertrauensvorschuss nun gerne in Profit umschlagen sehen möchten, und auf der anderen Seite die Computerarbeiter, die allmählich die Lust an der Selbstausbeutung zu verlieren beginnen. Die Zeit des Internets als Spielwiese für Stubenhocker und große Jungs scheint allmählich zu Ende zu gehen. Da hilft es auch nichts, wenn ein lebensgroßer Frosch Erdnüsse verteilt. Konvergenz übrigens ist nichts anderes als der zeitgemäße Ersatz für das totgebrauchte Wort von Multimedia, das inzwischen so sehr Teil des Mainstreams geworden ist, dass es unmöglich wurde für diejenigen, die so gerne hip sein wollen. Aber wer es undergroundiger haben möchte, greift ohnehin bereits auf etwas Neues zurück: die „Bastard Mediaformate“. Bingo!

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