: Eine gewollte „Provokation“
Der Chef der UN-Mission, Bernard Kouchner, kann die Teilnahme des Kosovo an den jugoslawischen Präsidentschaftswahlen nicht verbieten. Die Albaner hoffen heimlich auf einen Sieg für Milošević
aus Sarajevo ERICH RATHFELDER
Der Chef der UN-Mission im Kosovo, Bernard Kouchner, hat in der Öffentlichkeit für reichlich Verwirrung gesorgt. Einerseits bezeichnete er die Forderung des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević, die für den 24. September geplanten Präsidentschaftswahlen auch im Kosovo stattfinden zu lassen, als „Provokation“ und eine „Farce“, andererseits jedoch betonte er, dass das Kosovo nach wie vor „Teil der Bundesrepublik Jugoslawien ist“.
Nach dem Status des Kosovo, der in der Resolution 1244 des Weltsicherheitsrats festgelegt ist, habe Jugoslawien das Recht, Wahlen im Kosovo durchzuführen, betonte Kouchner. Die UN-Mission werde sich allerdings um die Organisierung dieser Wahlen nicht kümmern.
Doch wenn die noch rund 100.000 Serben des Kosovo an der Wahl in Jugoslawien teilnehmen werden, wäre dies nach Ansicht internationaler Beobachter eine Provokation für die albanische Bevölkerungsmehrheit, die unmissverständlich die Unabhängigkeit des Landes fordert. In den serbischen Enklaven im Kosovo könnten diese Wahlen wohl noch ohne große Probleme durchgeführt werden, in anderen Gebieten aber nicht. Albaner würden die Wahlen sicherlich stören wollen, befürchten auch Vertreter der Kfor-Truppen.
Doch andere Experten sehen die Problematik darin, dass Wahlen in einem von der UN verwalteten Gebiet stattfinden, die keinesfalls „fair und frei“ sein könnten. Eine Registrierung der Wähler habe seit dem Krieg im Kosovo nicht stattgefunden. Mehr als die Hälfte der serbischen Bevölkerung halte sich außerhalb Kosovos auf. „Diese Konstellation öffnet alle Möglichkeiten für einen Wahlbetrug“, sagen Berater Kouchners. Inoffiziell geben auch die Sprecher der Unmik zu, dass Milošević gerade mit dieser Möglichkeit rechnet, um die Wahlen in Jugoslawien doch noch für sich zu entscheiden.
Nach den letzten Umfragen nämlich liegt der langjährige Präsident Serbiens und Jugoslawiens weit hinter dem Kandidaten des Oppositionsbündnisses DOS, Vojislav Kostunica, zurück. Im Kosovo wurden angesichts der hartnäckigen Weigerung der albanischen Bevölkerung, an Wahlen in Serbien und Jugoslawien teilzunehmen, schon seit zehn Jahren Auszählungen verfälscht. Dies jedenfalls ist die durchgängige Meinung bei der serbischen Opposition. Es sei undenkbar, dass ein Teil der 900.000 registrierten albanischen Wähler regelmäßig das Regime Milošević unterstützt habe.
Die politischen Führer der Albaner im Kosovo haben sich klar und eindeutig gegen die Abhaltung der jugoslawischen Wahlen im Kosovo ausgesprochen. Ibrahim Rugova, der langjährige Präsident der Albaner des Kosovo, erklärte ebenso wie sein Intimfeind Hashim Thaci, ehemaliger Chef der Widerstandsorganisation UÇK , er erkenne keine Wahl an, die Serben auf dem Territorium Kosovos abhielten.
Doch unter der Hand sind bei den Albanern auch andere Stimmen zu hören. Die Angst, die Albaner wollten die jugoslawischen Wahlen stören, sei völlig unbegründet, erklärte ein Kommentator der kosovoalbanischen Tageszeitung Koha Ditore. Insgeheim hofften die albanischen Politiker sogar auf einen Sieg von Milošević. Sollte Milošević nämlich gewinnen, müssten der Westen und die Nato, bei ihrer bisherigen, gegen Belgrad gerichteten Position bleiben. Sollte sich jedoch die serbische Opposition durchsetzen, würde es weit schwieriger werden, die Unabhängigkeit Kosovos international durchzusetzen.
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