: Man spricht Russisch
■ Eine Delegation aus dem russischen Perm besucht Tenever zum Erfahrungsaustausch über Armut und Sozialarbeit / Russische Künstler wollen den Stadtteil verzaubern
Die russische Stadt Perm und Tenever haben zwei Dinge gemeinsam: Es gibt viele Arbeitslose und man spricht Russisch. Mit 30 Prozent Aussiedleranteil an der Bevölkerung könnte der ehemalige Modell-Stadtteil heute eher Klein-Moskau heißen als Klein-Manhattan, wie ihn der Volksmund in den Siebzigerjahren getauft hatte. Da war es nahe liegend, dass eine Delegation von Mitarbeitern sozialer Einrichtungen aus der Stadt am Ural dem Bremer Stadtteil einen Besuch abstattet. Im Arbeitslosenzentrum Tenever trafen sie gestern zum Erfahrungsaustausch mit deutschen KollegInnen zusammen.
Gut, dass unter denen mittlerweile auch einige Russisch sprechen. Ida Fink zum Beispiel: Sie kam als Aussiedlerin und gibt heute Sprach- und Nähkurse. Oder Nina Brunsch, die in einem interkulturellen Jugendprojekt für ein besseres Miteinander von Aussiedlern und Ausländern im Stadtteil arbeitet – zusammen immerhin zwei Drittel der Bevölkerung.
Die beiden Frauen übersetzen hin und her, wo das Deutsch der Gäste nicht reicht. Mit dem Verständnis ist es dennoch nicht immer einfach: Die Gäste können nicht glauben, dass 531 Mark Sozialhilfe in Deutschland wenig sind, verdienen sie doch selbst kaum mehr. Nur träumen können sie von einer Miet-Übernahme durch die Stadt in sozialen Notlagen: Wer in Perm seine Miete nicht bezahlen kann, muss ins Obdachlosenheim. Ein großes Problem hat die Millionenstadt seit einigen Jahren mit Drogen: Die Einsteiger werden immer jünger und Drogenhilfe wird bisher fast nur von der Kirche geleistet. Elena Paschtuchowa ist eine der Ersten, die in einer städtischen Jugendeinrichtung ehemalige Drogensüchtige bei der Resozialisation berät. Dafür ist sie mehr als qualifiziert: Die studierte Psychologin und Juristin macht alles von der Fanilienhilfe bis zur Rechtsberatung. Als Joachim Barloschky von der Projektgruppe Tenever die These aufstellt, Alkohol sei ein viel größeres Problem als die illegalen Drogen, widerspricht sie energisch: „Drogen ziehen Beschaffungskriminalität nach sich, Alkohol nicht.“ Ihr Kollege ergänzt: „Und mit Alkohol haben wir viel mehr Erfahrung. Da wissen wir was zu tun ist.“
Noch ein Deutsch-Russe spielt eine Schlüsselrolle beim Besuch aus Perm: Anatol Jagodin ist im bürgerlichen Beruf Posaunist in Bremens Philharmonischem Staatsorchester. In der Freizeit geben er und seine Frau Kindern aus Tenever Musik- und Tanzunterricht, ehrenamtlich. In dieser Woche betreut er den Tross von Musikern und Zauberern, die mit der Delegation aus Perm gereist sind. An verschiedenen Orten in Tenever treten die Musikgruppe Rossianye und das Illusionstheater Lacht in den nächsten Tagen auf. Nebenbei wollen sie ein wenig Geld für soziale Einrichtungen in ihrer Heimat einspielen. jank
Auftritte am Freitag im Kindertagesheim, im Hort und im Einkaufszentrum; am Samstag um 14.45 Uhr im Festzelt auf dem Spielplatz am Pfälzer Weg.
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