: Täglich grüßt das Hitlerbärtchen
33 Orte der Stadt nennt der Innensenator rechtsextreme Treffpunkte. An manchen davon bestimmt die Bedrohung den Alltag. An anderen sammeln sich rechte Cliquen, und nichts passiert – wenn man nicht zu nahe kommt. Zwei Momentaufnahmen
Sie kommen meistens nachts, kurz vor Mitternacht. Dann, wenn an der großen Kreuzung vor dem S-Bahnhof Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg niemand mehr auf der Straße ist. Der türkische Imbiss, der auch Bockwurst und Kartoffelsalat führt, ist eine leichte Beute. Eines Abends wollen sie vier Hamburger essen. Umsonst. „Wir sind Deutsche, du Ausländer“, grölt einer den türkischen Verkäufer Ilker B.* an. „Wir müssen nicht bezahlen!“
Sie haben Recht. Es ist Ilker B., der an diesem Abend im Mai teuer bezahlen muss. Dafür, dass er die falsche Hautfarbe hat. Dafür, dass er nicht genügend Geld hat, um sich einen besseren Job zu suchen, in Westberlin. Sie nehmen einen Pflasterstein, schlagen die Scheiben des Imbisses ein. Ilker B.s Nasenbein zersplittert. Die Polizei kommt 15 Minuten später.
Am Bahnhof Greifswalder Straße ziehen die Schienen eine Grenze zwischen der Innenstadt und den östlichen Vorortbezirken. Hier, keine fünf Kilometer vom Roten Rathaus entfernt, ist die deutsche Herrenmenschengeste längst Normalität geworden. 33 öffentliche Plätze gelten der Innenverwaltung als Treffpunkte von Rechtsextremisten. Die Greifswalder Straße dürfte dazuzählen. „Bespuckt und beschimpft werden wir hier fast täglich“, sagt Ilker B. Den eigenen Namen will hier keines der Opfer nennen. Die Furcht vor Vergeltung ist groß.
Greifswalder Straße, bei Licht betrachtet: Auf den ersten Blick wirkt die Situation harmlos. Ein kleiner Markt mit von Türken betriebenen Gemüseständen vor der Kaiser’s-Kaufhalle, einem China-Schnellimbiss, „Fein-Söckchen“ im Angebot. Auffallend viele junge Männer tragen die Haare kurz und die Bierbüchse schon am frühen Nachmittag in der Hand. Im Wohnviertel, zwischen den zehnstöckigen Plattenbauten mit eingefärbten Balkonen, zeugen SS-Runen und die Wörter „Ehre, Treue, Stolz“ von den Neigungen der Jugendlichen. Gleich neben dem Sandkasten. Etwas entfernt ist das Denkmal für den Widerstandskämpfer Anton Saefkow beschmiert. An der Fassade des Jugendclubs gleich neben dem Bahnhof steht: „Ihr seid tot! SFK“ Das Kürzel steht für „Skingirl-Front Deutschland“, eine rechtsradikale Mädchenvereinigung, die sich der „Brauchtumspflege“ verschrieben hat. Die Todesdrohung zählt dazu.
Rechtsradikale? „Musst du doch wissen“, sagt der 15-jährige Daniel M. und grinst zu seinem Freund, der neben ihm sitzt. Der – schwarze Bomberjacke, Stiftelkopf – schweigt beharrlich. Daniel erzählt von letzter Woche. Die Rechten hätten Scheiben eingeschlagen, Steine auf Autos geworfen. Und er? „Erst war ich dabei; als es Stress gab, bin ich weggegangen.“ Ein „Rechter“ sei er nicht, sagt Daniel, der immer wieder andeutet, dass sein Kumpel bei der Randale mitgemacht hat. Eine ganz normale Jugend im nahen Osten.
Für die Ausländer, die hier arbeiten, ist diese Normalität lebensgefährlich. Ersan E., türkischer Angestellter, hat sich damit abgefunden. „Ich habe nur Angst vor Gott“, sagt er. Der aber ist hier die geringste Bedrohung.
Doch es sind nicht nur die Skinheads. Ilker B. erzählt von einem Deutschen, der im Haus gegenüber wohnt. Der will eines Tages von B.s Bruder Bier kaufen. Gleichzeitig beleidigt er den Türken immer wieder. „Dönerfresser!“, B.s Bruder erteilt ihm Hausverbot. „Ich bin Deutscher, ich kann machen, was ich will“, schreit er. Und hetzt einen seiner beiden Schäferhunde in die Imbissstube. B. kommt mit einem Schock davon.
Am nächsten Morgen erstattet sein Bruder Anzeige, auf der Polizeiwache in der Immanuelkirchstraße. Er kennt den Wohnort des Täters, will ihn den Beamten zeigen. Doch die weigern sich, die Anzeige aufzunehmen. „Die Tat ist zu lange her, es gibt keine Augenzeugen“, sagen sie ihm. „Dann konnte ich nicht mehr anders“, berichtet Ilker B. verzweifelt. Als der Mann mit den Schäferhunden wieder auftaucht, droht ihm der Verkäufer: „Ich schlag deinen Kopf mit dem Dönermesser ab, wenn du uns noch einmal überfällst.“ Seitdem ist der Angreifer nicht mehr aufgekreuzt. Bisher.
Den Ausländern an der Greifswalder Straße bleibt nichts anderes übrig, als sich auf sich selbst zu verlassen. Nach dem Vorfall hat sich auch B.s Bruder ein Mobiltelefon angeschafft. Um die Ecke haben die beiden eine Wohnung angemietet, damit man sich im Ernstfall gegenseitig helfen kann.
Die Täter sind jung, meistens ab fünfzehn aufwärts. „Ich könnte ihre Mutter sein“, sagt die 53-jährige Ingeborg S., die an dem S-Bahnhof in einem kleinen Laden arbeitet. Ob sie schon einmal von Rechtsradikalen überfallen worden ist? „Teils, teils“, sagt sie zögernd. Dann kommt heraus: Nicht nur Ausländer zittern hier vor den Rechten. Ingeborg S. berichtet, wie ein Dreizehnjähriger aus der Skinhead-Szene einmal eine Zeitschrift geklaut hat. Als sie ihn zur Rede stellt, tritt er der schmächtigen Frau in den Bauch. Bevor er verschwindet, feixt er noch, er könne ja noch ein bisschen warten, bis die Polizei kommt. „Wir haben eine Alarmanlage“, sagt S. resigniert. „Aber was hilft die schon?“
Hilfe gibt es auch für Stefan P. nicht. Als der Siebzehnjährige an einem Tag im März mit seinem Freund auf die Straßenbahn wartet, hört er den Ruf: „Rotfront verrecke!“ Dann stürmt eine Gruppe Rechtsradikaler auf die beiden zu, will auf sie einschlagen. Nur ein langer Sprint verhindert Schlimmeres. Nicht immer geht das gut. Einen Bekannten von P. haben die Rechten erwischt, ihm „voll gegen den Kopf getreten“. Mehrmals.
Im Aufgang zu den S-Bahn-Gleisen wirbt der Otto-Versand mit einer jungen Frau. „Wenn ich Baby-Fleece bei Otto sehe, ist es Trend“, sagt sie. An diesem Tag zeugt das Plakat von einer anderen Mode an der Greifswalder Straße: Über der Oberlippe des Models prangt ein dicker Hitlerbart. ANDREAS SPANNBAUER
* Die Namen sind geändert
* * *
In der Umgebung ist das Lokal wohlbekannt. Und nicht jeder, der es kennt, wagt sich in seine Nähe. Zwei Mädchen im Hippie-Outfit fühlen sich bedroht. Die Rechten bezeichnen sie als Zecken. „Wir machen einen großen Bogen um die Kneipe“, sagen sie. Passiert ist ihnen noch nichts. „Man findet sich irgendwie mit den Rechten ab“, sagen sie.
Im „Fliegerheim“ in Johannistal, einem Ortsteil von Treptow, spricht man stramm Deutsch. Ausländer sind hier kein Problem – in die Kneipe kommen sie schließlich sicher nicht. Rechtsextremistische Graffiti gibt es in der Gegend um die Kneipe nicht, hin und wieder tauchen NPD-Aufkleber auf. „Icke statt Ali“ steht auf einem. „Für Ausländerrückführung, gegen den Doppelpass“, wird auf einem anderen gefordert. Ein Antifa-Aufkleber ist zur Hälfte abgerissen.
Während ein paar Meter weiter die Friseurin noch nie etwas von Rechten in der Gegend gesehen haben will, sind die Jugendliche im gegenüberliegenden Winckelmann-Klub besser informiert. „Da hängen immer ein paar Rechte ab“, sagt ein Skater. Ein anderer, der am Abend Volleyball spielt, bestätigt. „Da laufen immer rechte Jugendliche rum.“ Bedroht fühlt er sich nicht, er kenne einige sogar persönlich. „Das sind ganz liebe Rechtsradikale.“
Im Hinterzimmer der Kneipe dröhnt der Fernseher: Ein Boxkampf wird übertragen. Ein paar kurzhaarige junge Männer grölen. Wenn die Faust trifft, wird auf die Schenkel geklatscht. Vorne, im billig eingerichteten Kneipenraum, läuft ein Dudelsender im Radio, zwei Bauarbeiter essen Schnitzel mit Spiegelei; an diesem Donnerstagabend scheint im Fliegerheim in der Winckelmannstraße in Johannisthal alles zu sein wie immer. Das Lokal, das am Rande des ehemaligen Flugplatzes in einem zersiedelten Kiez liegt, soll nach Informationen der „Treptower Antifagruppe (TAG)“ der NPD als Veranstaltungsort dienen und ein regelmäßiger Treffpunkt von Rechtsextremisten sein.
Nach und nach trudeln mehrere Männer mit kurzen Haaren ein. Die Kleidung codiert die Zugehörigkeit zur rechten Szene: T-Shirts der Marke Lonsdale (wegen der vier Buchstaben in der Mitte), Bomberjacken, Springerstiefel, ein Sweatshirt von Fred Perry (wegen des an Eichenlaub errinnernden Kranzes am Revers).
Sie begrüßen sich, wie es im Osten Sitte ist, mit Handschlag. Für die Bedienung ist schon mal ein Küsschen dabei, und, ohne zu bestellen, kommt das richtige Bier auf den Stammtisch. Man kennt sich, man versteht sich. Die Männer, zumeist schätzungsweise über zwanzig Jahre alt, unterhalten sich über Freundinnen und Jobs, ab und an taucht das Wort „Türke“ auf. Kneipenalltag in Ostberlin. Nur für Deutsche. RICHARD ROTHER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen