: Klingende Winde
Dringend benötigte Bilder von Weite, Freiheit und einem Land, irgendwo zwischen Texas und Mexiko: Die amerikanischen Wüstenrocker Calexico und die Mariachi-Kapelle Luz de Luna auf Tour
von GERRIT BARTELS
Es sollte eigentlich nur ein flauer Witz sein, den sich die Plattenfirma und die örtliche Konzertagentur ausgedacht hatten, als sie die Ankündigungen für die beiden Berliner Calexico-Konzerte mit dem Hinweis „Nur zwei Tage!“ versahen. Doch dem Andrang nach hätten Calexico tatsächlich drei-, vielleicht sogar viermal das achthundert Leute fassende Columbia Fritz in Berlin gefüllt: Die Band aus Tucson, Arizona, ist mit ihrer Mischung aus Folk, Wüstenrock und TexMex-Musik das Ereignis der Saison. Sie ist schon das zweite Mal in diesem Jahr auf Tour, und ihr aktuelles Album, „Hot Rail“, landete in England und in Deutschland in den Charts und verkaufte sich bislang über 20.000-mal – was ungewöhnlich ist für eine Band, die in Indierockkontexten anzusiedeln ist und eigentlich nur als ein Seitenprojekt von Joey Burns und John Convertino angesehen wurde: Beide sind seit über einem Jahrzehnt hauptberuflich die Rhythmusgruppe von Howe Gelbs Band Giant Sand.
Allerdings sahen Burns und Convertino das von Beginn an anders. Da stolperten sie 1996 nach einer ausgedehnten Giant-Sand-Tour in den Plattenladen des Weilheimer Hausmusik-Bosses Wolfgang Petters und fühlten sich hier auf Anhieb aufgehoben und verstanden. Man unterhielt sich prächtig, hörte sich einige Bänder mit Homerecording-Sessions von Burns und Convertino an, und schließlich erbot sich Petters, das Material herauszubringen: „Das Resultat war ‚Spoke‘, der Beginn von Calexico als einer Vollzeitband und nicht nur einem Seitenprojekt“, wie Calexico sich und ihren zukünftigen Fans ins Booklet schrieben.
Als sich auch in den USA eine Plattenfirma für „Spoke“ fand, machten sich Burns und Convertino gleich daran, an einem neuen Calexico-Album zu arbeiten und ihren Lo-Fi-Sound mit Marimbas, Glockenspielen, Trompeten, Geigen und mehr in Richtung Latin Jazz und Mariachi-Sounds auszubauen und zu perfektionieren.
Die Ergebnise können sich hören lassen. Calexicos Songs finden ihren Widerhall irgendwo zwischen den Soundtracks eines Ennio Morricone, den Geschichten mexikanischer Wanderarbeiter und dem Wüstenrock von eben Giant Sand oder einer Band wie Swell. Und sie scheinen damit auch den Sehnsüchten und Träumen eines größeren Publikums zu entsprechen und die dringend gebrauchten Bilder von Wüsten, Weite und Freiheit, von einem Land irgendwo zwischen Texas und Mexiko heraufzubeschwören.
Allerdings dürfte das zu Hause im stillen Kämmerlein, mit geschlossenen Augen und Kopfhörern, besser aufgehen als in einem Club, wo sich die Bühnenpräsenz der Band und die sonstigen Realitäten eines Livekonzerts den schönen Bildern im Kopf in den Weg stellen. Mehrere Mikros im Vordergrund der Bühne künden davon, dass hier später noch eine ganze Menge anderer Musiker kommen werden. Und der eigentliche Kern von Calexico mit dem Sänger und Gitarristen Joey Burns und seinen drei Kollegen an Gitarre, Standbass und Schlagzeug (Convertino fehlt, er ist auf dieser Tour krankheitsbedingt verhindert) lässt sich mit ihren karierten Hemden, Jeans und Allerweltshaarschnitten erst mal nur wenig in Beziehung setzen zu der Schönheit ihrer Songs.
Immerhin gelingt es Burns zuweilen, mit seiner brüchigen Stimme den Liedern die Tiefe zu geben, die sie auf den Alben haben, und das durchweg mittelalte und jeglichen Szenen fern stehende Publikum lauscht andächtig, was Calexico da vorn fabrizieren: ruhige, melancholische Songs, die mitunter angereichert werden durch das Mitspiel zweier Trompeter, Songs wie „Sonic Wind“, „The Ride (pt II), „Service And Repair“ oder „The Ballad Of Cable Hogue“.
Die Stimmung, die sie transportieren, will aber nicht wirklich in den übervollen Club passen. Richtig problematisch wird es, als Calexico dann tatsächlich ein sehr langes, viel Konzentration forderndes Instrumentalstück spielen. Dieses veranlasst einen Menschen aus dem Publikum, die bösen Störenfriede an der Bar und anderswo mit „Haltet endlich euer Maul dahinten!“ zurechtzuweisen, was wiederum aus dem Publikum leise mit Applaus bedacht wird: Wir sehen uns nächstes Mal im bestuhlten Konzertsaal.
Aber auch Calexico haben bemerkt, was Sache ist. Sie bringen das Stück krachend zu Ende, und Burns bittet schließlich die Gruppe Luz de Luna auf die Bühne, fünf Mariachis in landestypischer Kluft. Da scheinen auch die Leute vorn froher als vorher, da finden sich alle ein, und es wird, wie es sich wohl für einen Mariachi-Auftritt gehört, auf der Bühne und im Publikum gejohlt und gepfiffen – endlich Jahrmarkt, gute Laune, Mexiko. Der Hoster der Gruppe, der Trompeter Rubén Moreno, bringt es auf den Punkt: „Wir bringen euch das zurück, was ihr Deutschen uns gebracht habt, Polka, Walzer und, ja, Bier.“
Der Verdacht, dass es vor allem diese folkloristischen Elemente sind, die den augenblicklichen Erfolg von Calexico ausmachen, drängt sich auf, zumal im Folgenden Joey Burns und Kollegen hinter der Bühnenpräsenz der Mariachis völlig verschwinden. Doch hinter einem guten Song steckt immer auch ein Corona.
Weitere Konzerte:9. 9. Dresden, 10. 9. München, 12. 9. Genf, 13. 9. Zürich, 14. 9. Schorndorf, 15. 9. Darmstadt
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