: Operette sich, wer kann!
Seit Jahren quält die taz ihre LeserInnen regelmäßig mit dramatischen Rettungskampagnen. Ein Rückblick mit Zukunftswünschen
von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH
Mit 17 hat man noch Träume. Etwa den, dass ein tränenreiches Manifest der Liebe nur einen beherzten Schnitt ins Handgelenk weit weg ist. Einen Akt „soldatischer Selbstverstümmelung“ pries die taz denn 1995 auch ihre weißen Wochen mit leeren Seiten. Auch 92 drohte „der Alptraum wahr zu werden“, eine halbe Million Kettenbriefe und der Slogan „Jeden Tag eine gute taz“ behelligten die Leserschaft. Das Leitmotiv, zu dem auch andere Altersgenossen erfolgreich pubertiert haben, heißt: Ich bring mich um, und dann genieße ich es, euch an meinem Grab weinen zu sehen.
Gottchen. Manche vom Spiegel werden sich ihre verkrachten Biografien gerade trinken und knüllen Kopfes darauf prosten, dass sie den Markendiscounter rechtzeitig gen Topgehalt verlassen haben. Melancholisch-heiter wird die FAZ-Delegation sich eine gar nicht mal unwürdige Schlagzeile ausdenken, „Generation Minigolf“, und die Kranzbinde richten. Und aufmerksam notieren, dass daneben keine Grabbeigabe der grünen Bundestagsfraktion lag: Warum sollten die sich selbst hassen, wenn sie all ihre Widersprüchlichkeit, auch ihr Versagen, auf jemand anderen projizieren können? „Macht ihr erst mal eine richtige Zeitung!“, pöbelte Außenminister Fischer bei seinem Sommerfest ans taz-Tischchen. Er braucht sie nicht; er kann sich selbst entlarven.
1992 fiel der Einheitslohn, wurden Stellen abgebaut, der Preis erhöht und erstmals das böse Wort von drohender „Liquidation“ gewagt. Avantgarde auch darin: Das Coming-out des Unternehmers vom verhassten Fettsack zum börsennotierten Popstar vollzieht die Branche erst heute. Wie auch der Ruhmestitel des Ehrenwortspielführers der deutschen Presse heute nicht mehr zwangsläufig in der Kochstraße landet: „Li macht Peng“ über Chinas Atombombentests war und bleibt genial. Lobt Bild-Chef Udo Röbel – das mag irritieren. Und macht es nach – das schmerzt. 1986 lobte sich die kleine, feine Zeitung, „Ideenspender für alle“ zu sein, sich „jede Woche im Spiegel“ zitiert zu finden und stramme 51 Abos zum Beispiel an den WDR zu verkaufen. Dass alle anderen wenigstens blöd genug zum Abschreiben sind, mag eitel Freude wecken. Langfristig ist das nur noch eitel, die Freude lässt nach. Dem Traditionsleser der taz wäre geholfen, wenn die „Wahrheit“, die letzte Seite, so lange als erste Seite geheftet würde, bis alle anderen Redaktionen aus schierem Neid auch wieder lustig und tabuverletzend würden. Dem Traditionsleser der FAZ würde vermutlich ebenso eine Rückbesinnung auf nationalreaktionäre Positionen behagen. Und überhaupt wäre die Welt wieder in Ordnung, wenn die NPD nicht den Springer-Verlag und Bild angriffe, sondern . . . naja. Eine gewisse Unordnung der Welt, sogar der Welt, scheint hinnehmbarer. Wenn alle endlich leidlich links lustig sein wollen, hat sich halt der Markt einmal um die taz drum rum bewegt. In einer überschäumenden Spaßgesellschaft kann es schwieriger und wagemutiger sein, noch irgendetwas ernst zu meinen. Da liegt, erst recht für ein der Regierungsnähe verdächtiges Blatt, die Herausforderung.
Die jüngste Blattreform mit Schwerpunkten und mehr Ganzseitenthemen trägt dem Rechnung. Wie Schwarzbrot und Tofubrotaufstrich der Forderung nach gesunder Ernährung. Schon 1985 gewann die taz Werbedenkmal Michael „er läuft und läuft und läuft“ Schirner als Berater. Die Auflage wurde um ein Drittel erhöht, und man näherte sich freudig jener 60.000-Abo-Marke, die heute gerade zum Verhungern reicht. Der Vorteil jeder Blattreform, wäre sie auch schlechter als die letzte, bliebe ihr Stattfinden. Die taz als das Blatt einer Bewegung, die sich längst nicht mehr bewegt, bewegt sich eben selbst.
Bewegte sie sich in den Abgrund, wäre auch das eine gültige Aussage über die Gegenwart um sie herum. Das Abo aus der Schlechtes-Gewissen-Boutique, „Kauf dir ruhig einen Porsche, aber leg dir die taz auf die Hutablage“, bringt das nämliche Geld wie die Groschen des Treuelesers. Beide zusammen richten es immer noch nicht. Die dramatische Schieflage, kaum ein Fünftel der Einnahmen aus den Anzeigen zu ziehen, begleitet das Blatt seit Gründung. Werber haben die kleine Zeitung vielleicht am brutalsten beraubt, am wenigsten zurückgegeben. Wer heute über die im Wohlstand angekommenen Bewegungsveteranen schwadroniert, muss ganz schön blöde sein, ihre Kaufkraft nicht in deren Traditionsblatt anzuzapfen.
Was mit 17 bittersüß anmutet, grenzt mit 23 ans Kindische. Also entweder ist die taz eine ganz schön zickige Geliebte. Oder es geht ihr wirklich dreckig. So genau weiß das keiner, nur wenige sollen so lange an Bord sein, dass sie alle Krisen aus nächster Nähe erlebt hätten. Und vergleichen könnten. Die taz ist eine sehr lebendige, bewegliche Zeitung. Sie wird noch stets als Gesamtkunstwerk gemacht, nicht als eine Versammlung von täglich routiniert zu befüllenden Schubladen. Wenn nicht, dann setzt es was. Ich wünsche mir, dass nie jemand begreift: Nur mit unausgesetzter Armut und Not, mit geringen Karrierechancen und hauchzartem Bastard-Image wird sie das Blatt bleiben, bei dem nur arbeitet, dem es nicht allein ums Geld geht. Sammelt man so Idealisten? Oder Leute, die woanders nicht so dürfen? Und vor allem: Was für ein Hardcore-Sadist ist der Gesamtleser, der das 23 Jahre durchprobiert?
Und schließlich wünsche ich der erwachsenen Zeitung die erwachsene Rettungsaktion. „Restlaufzeit“ mag hübsch selbstironisch sein; aber weder ist die Zeitung meines Vertrauens strahlender Schrott, noch freue ich mich klammheimlich auf ihre Abschaltung. Nein: Das ist ein gutes Blatt, und Güte kostet Geld. Was werden die anderen staunen: „Irre! taz findet sich gut!“
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