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Gefühlsdiktatur

Das Deutsche Theater begann seine Spielzeit mit Schillers „Don Karlos“ unter der Regie von Amélie Niermeyer

Auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters steht die Berliner Prominenz beim Glas Wein beisammen. In der Dämmerung hebt sich das angestrahlte Theater postkartenhaft vom Nachtblau des Abendhimmels ab. Dekorativ wirkt vor dieser Kulisse sogar der Regierende Bürgermeister, aber auch manch anderer Senatsbeamte, der möglicherweise tagsüber mit dem Totsparen von Theatern beschäftigt ist. Drinnen wurde dann mit Schillers „Don Karlos“ die neue Spielzeit eröffnet. Amélie Niermeyer inszenierte, und am Ausgangspunkt ihrer Überlegungen stand wohl der Jungautor Friedrich Schiller, der so um 1784 noch nicht so versiert beim Basteln von Theaterplots war und immer Briefe brauchte, um seine Handlung voranzutreiben.

Karlos schreibt Briefe an die Stiefmutter, die er liebt. Und manchmal schreibt sie zurück. Deren Hofdame wiederum, Prinzessin Eboli, liebt Karlos und schreibt ihm auch Briefe. Dann gelangen all diese Briefe natürlich in die falschen Hände, und die Tragödie ist perfekt. Liebesbriefe werden zerrissen, aufgegessen oder wieder ausgespuckt – die Klamotte ist so nicht weit.

Durch das ungastliche Reich des spanischen König Philipp schleichen zu bedrohlicher Musik allerlei Geheimpolizisten. Der König (Dieter Mann) guckt ziemlich kalt aus seinem hellblauen Jackett. Die Königin (statuarisch: Nina Hoss) und ihre Damen haben als mondäne Tussen einen tollen Auftritt. Und Thronfolger Don Karlos (Guntram Brattia) ist natürlich eine ziemlich hysterische Natur. Da hat der gute Marquis von Posa (Götz Schubert) alle Mühe, den Freund bei der Stange zu halten. Mit tödlichem Ausgang, wie man weiß. Aber manchmal blickt Amélie Niermeyer in den Abgrund einer Diktatur der Gefühle. Die haben die Macht im Staat und sorgen für Angst und Schrecken. Gefühle, in die sich andere manipulierend schleichen. Dann geht es gar nicht mehr um die Frage: Wer liebt wen? Sondern: Wer beherrscht wessen Seele? Damit wird dann auch Politik gemacht, und da schlägt die Geschichte wunderbare Funken. Auch, weil die Regisseurin nicht schlauer als Schiller sein will, sondern durch ihn hindurch ins Zentrum menschlicher Schwächen blickt. Es gibt Manipulierer wie Herzog Alba (Robert Gallinowski). Und es gibt Manipulierte, wie die unglücklich verliebte Eboli (Katrin Klein), den eifersuchtskranken König und Don Karlos selbst. Alle sympathisch in ihrer Schwäche und Verletzlichkeit. Aber Amélie Niermeyer entwickelt die Sache dann nicht weiter. Stürzt wieder tief in Klamotte und Klischee. Briefpakete werden hin- und hergereicht. Die Bösen tragen bodenlange, schwarze Mäntel. Die gute Königin trägt Leidensmiene und ein langes hellblaues Kleid. Und das alte Theater ist am Ende noch ein bisschen älter geworden. ESTHER SLEVOGT

Nächste Vorstellungen: 14. 9., 21. 9., 24. 9., jeweils 19 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstr. 13

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