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Süßes Bonbon verschluckt

Kita-Card könnte auch ohne Rechtsanspruch kommen. Kids-Parade als Protest  ■ Von Kaija Kutter

Kommt die Kita-Card ohne den versprochenen Rechtsanspruch für berufstätige Familien? Die Vereinigung der Kindertagesstätten geht in ihrem jüngsten Jahresbericht davon aus. Und auch der Verein „Familien Power“ mutmaßt, dass dieses Versprechen des Rot-Grünen Senats „stillschweigend zu den Akten gelegt wird“.

Wie die taz berichtete, brachte der Senat im letzten Jahr mit der „Kita 2000“ ein Reformpaket auf den Weg, das einen Wandel der Kinderbetreuung weg von einem „angebotsorientierten“ hin zu einem „nachfrageorientierten“ Sys-tem vorsieht. Eltern sollen mit Gutscheinen, auf denen vermerkt ist, wieviele Stunden ihr Kind betreut wird, zu den Kitas geschickt werden und dadurch das Platzangebot lenken. Auf unzähligen Vor-Ort-Terminen in Kitas versprachen Jugendpolitiker der regierenden SPD, es werde künftig einen „Quasi-Rechtsanspruch“ für Berufstätige auf Ganztagsplätze geben. Ein Bonbon, der die wegen seiner pädagogischen Folgen umstrittene Kita-Card versüßte. Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass der Kita-Etat von rund 600 Millionen Mark nicht weiter steigt. Eine Umfrage des Nürnberger Instituts für soziale und kulturelle Studien (Iska) ermittelte deshalb den zukünftigen Bedarf.

Die Studie liegt seit Juni vor, nur ziert sich die Jugendbehörde mit der Herausgabe der Daten. „Nächs-te Woche werden wir soweit sein“, vertröstete der zuständige Abteilungsleiter Jürgen Näther gestern. Gleichwohl deutete er an, dass die Einführung eines Rechtsanspruchs „nicht gleich heute oder morgen sein muss“.

Die Veröffentlichung der Iska-Studie würde die Kita-Card scheitern lassen, vermutet hingegen der Sprecher von Familien-Power, Matthias Taube. Belege sie doch die These von einer „wachsenden Nachfrage nach Teil- und Ganztagsbetreuung“. Bedingungen, unter denen die Eltern um Plätze streiten müssen und das Kita-Card-Modell „seriös nicht einführbar“ wäre. Taube: „Es sei denn, man schrumpft den Bedarf künstlich durch hohe Gebühren“. Gestern protestierte auf Initiative von Familien-Power Eltern und Kinder gegen die Kita-Card auf der Reeperbahn unter dem Motto: Kids-Parade.

Martin Schaedel und Roland Hauptmann, die Verfasser des oben erwähnten Jahresberichts der Vereinigung, können einem Verzicht auf den Rechtsanspruch für Berufstätige auch gute Seiten abgewinnen. Stärkt dies doch die Position nicht-berufstätiger Eltern, deren Kinder aus sozialen Gründen einen Kita-Platz brauchen. „Budgetgrenzen“, so heißt es in der Schrift, könnten künftig auf „ähnliche Weise als Grenze für elterliche Ansprüche wirken“, wie es dies im bisherigen System die begrenzte Zahl der Plätze tut. Im Klartext heißt das: Eltern, die einen Platz brauchen, können unter Umständen auch künftig leer ausgehen.

„Wenn der Bedarf steigt, muss der Etat eben auch steigen“, sagt hingegen Heike Sudmann von der Bürgerschaftgruppe Regenbogen. Ein Anliegen, dass die Befürworter der Kita-Card im Rathaus wohl noch beschäftigen wird.

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