: Der Handel und Wandel an der Kottbusser Brücke
Konsequent kosmopolitisch
Wenn wir noch im Mittelalter lebten, wäre die Kottbusser Brücke über den Landwehrkanal sicher eine bedeutende Zollstation. Dieser Grenzposten zwischen Kreuzberg und Neukölln ist traditionell ein Ort des Handels und Wandels: Die Brücke selbst ist ein favorisierter Platz für den inoffiziellen türkischen Gebrauchtwagenhandel, auf dem Bürgersteig verkaufen russische Omis Puppen-in-Puppen und Selbstgestricktes, bei den fliegenden Händlern nebenan gibt es türkische Popstarposter, saisonales polnisches Kleingartengemüse, Kinderspielzeug, Schuhe, Feuerzeuge usw.
Das Geschäft blüht vor allem dienstags und freitags nachmittags, wenn der türkische Gemüsemarkt am Maybachufer stattfindet. Der Markt scheint inzwischen als Sehenswürdigkeit erster Güte in allen möglichen Reiseführern empfohlen zu werden, denn alle paar Meter trifft man auf amerikanische, skandinavische und japanische Touristen, die statt mit Einkaufstaschen mit aufgeschlagenen Stadtplänen umherlaufen und anschließend in der Ankerklause einkehren.
Dort hat vor ein paar Jahren eine neue Generation von Szene-Trinkern die alten Alkoholiker verdrängt. Die Ankerklause ist die bevorzugte Ausgehlocation des noch einigermaßen jungen Kreuzberg, und berühmt-berüchtigt ist hier der Donnerstag, an dem alle Singles, die keine mehr sein wollen, den Laden bevölkern. Von der Terrasse der Ankerklause aus hat man einen ausgezeichneten Blick auf das wunderschöne Kaufhaus gegenüber.
Alte Kreuzberger sprechen noch hartnäckig vom „Bilka“, dem vielleicht einzigen Kaufhaus der westlichen Welt, das sich zu Mauerzeiten den unaufdringlichen Luxus leerer Regale erlaubte. Das wirkte damals sehr melancholisch, wie ein solidarischer Gruß nach drüben, in den nahen Osten.
Als Bilka schloss, zog der tolle Foxmarkt in das Haus. Der Foxmarkt war so eine Art Schnäppchenmarkt vom Schnäppchenmarkt, wo sich tout Kreuzberg mit Kleidung eindeckte: Sachen, die in den regulären Karstadtläden für unverkäuflich galten und deswegen zu Spottpreisen an der Kottbusser Brücke verhökert wurden.
Seine Hoch-Zeit erlebte der Foxmarkt, als zusätzlich der französische Tati-Markt einen Teil der Fläche bespielte und die geniale Propagandistin Silvana Stießel zur „Happy hour“ immer mehr Fans zum Kauf von Brautkleidern, Handtüchern, Kristallvasen und Badeanzügen verleitete. Viele waren entsetzt, als das fröhliche, immer etwas anarchistische Kaufhaus plötzlich seine Tore schloss und für einige Monate richtiggehend verwaiste.
Die traurige Nachricht gelangte bald in die Türkei, genauer gesagt in die anatolische Millionenstadt Konya. Dort ist der Hauptgeschäftssitz der Ittifak-Holding. Ittifak war ursprünglich eine Baugenossenschaft, die inzwischen 26 Aktiengesellschaften unter einem Dach vereint: Maschinenfabriken, Mehlfabriken, Textilfabriken, Tankstellen usw. In Anatolien ist Ittifak vor allem durch seine riesigen Adese-Kaufhäuser in Konya, Denizli und zwölf weiteren türkischen Städten ein Begriff moderner türkischer Konsumkultur geworden. Und ebendiese Kaufhauskette hat nun den vergleichsweise kleinen Foxmarkt als erste deutsche Dependance übernommen. Mit 3.200 Quadratmetern macht die Fläche zwar nur ein Siebtel des türkischen Stammhauses aus, doch prachtvoll und großzügig ist das Innere neu gestaltet.
Der Adese-Markt ist hell, die Gänge sind breit und die meisten Sachen werden in riesigen, dafür umso preiswerteren Tüten-/Eimer-Portionen angeboten, wie sie einem klassischen Großfamilienbedarf entsprechen. Im Erdgeschoss gibt es Lebensmittel mit einer Fleisch- und Fischabteilung sowie Reinigungsprodukte, im Obergeschoss findet man Textilien, Haushaltswaren und hübsche Dekorationsgegenstände wie beispielsweise bunte 3-D-Mekka-Reliefs.
„Wir konnten das Haus zu einem akzeptablen Preis vom türkischen Eigentümer, der Möbeloase, anmieten und bekommen als Eingliederungszuschuss für 25 unserer derzeit 65 Mitarbeiter zwischen 30 und 60 Prozent befristeten Lohnzuschuss“, so der Adese-Betriebswirt Kerim Özmen. Vier Adese-Vorstandsmitglieder sind vorübergehend in der deutschen Filiale tätig, denn für die Ittifak-Holding ist der Standort an der Kottbusser Brücke auch ein Testbetrieb. Wenn alles gut geht, soll expandiert werden, zwei weitere Filialen sind für Berlin geplant, in Dortmund und in Hamburg wird bereits renoviert.
Die Adese-Kaufhäuser haben als Standorte vorzugsweise Stadtteile mit einem hohen Anteil türkischer Mitbürger, auf die als potenzielle Kunden das Warenangebot und die Präsentation zugeschnitten ist. Doch im Unterschied zu vielen kleinen türkischen Geschäften in der Umgebung hat Adese etwas konsequent Kosmopolitisches, was eben auch für die deutsche Kundschaft attraktiv sein soll.
Das ausgesucht freundliche, vorwiegend junge Personal ist zweisprachig, und besonders die modischen Damen an der Kasse mit ihren eleganten Kostümen und kunstvoll gebundenen Kopftüchern wirken wie perfekte Repräsentantinnen jener selbstbewussten, neuen Generation von Berliner Türken, die stolz auf die eigene urbane Mischkultur ist.
Nach vierwöchigem Testbetrieb und zwei Wochen vor der offiziellen Eröffnung mit türkischer und deutscher Prominenz ist Adese mit den Umsatzzahlen überaus zufrieden, das Konzept scheint also aufzugehen.
Die Ökonomie entscheidet jedoch nicht allein, ob es sich bei Adese um eine würdige Nachfolgerin des Foxmarktes handelt. Dabei geht es nämlich auch um das schwierig zu kategorisierende Supermarkt-Surplus, was im Extremfall sogar den zweckfreien Bummel durch die Regale interessant macht.
In dieser Hinsicht schaffte Adese jüngst die Bestnote: Eine Besucherin aus Helsinki, die in ihrer Freizeit und bei sämtlichen Urlaubsreisen hobbymäßig Supermärkte erforscht, verschwand für über zweieinhalb Stunden im Kaufhaus. Sie war glücklich, als wir sie wieder trafen.
DOROTHEE WENNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen