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Schule und Betriebe: Voneinander lernen

Ein Abend in der Berliner Handelskammer zeigt: Ein Fach „Wirtschaft“ bringt es nicht. Die Kultur muss sich ändern

Matthias Morgenstern trat mit Zurückhaltung ans Mikrophon. Fast schien es, als wolle der Lehrer sich entschuldigen für seinen Auftritt vor der Industrie- und Handelskammer zu Berlin. Den dort versammelten 80 Chefs und Geschäftsführern mittelständischer Unternehmen sagte Morgenstern dann, beinahe flehend: „Wir müssen unsere Schüler irgendwie befähigen, Ausbildungen zu beginnen.“ Das war für Morgenstern der Grund, das für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche Treffen im Berliner Ludwig-Erhard-Haus aufzusuchen. Bei der Berliner IHK trafen sich nämlich nicht allein Leute aus der Wirtschaft, sondern zugleich Lehrer und Schüler. Um sich kennen zu lernen, Partnerschaften anzubahnen, vielleicht sogar Verträge zu schließen.

Praktikum an Regalen

Morgensterns Zurückhaltung, das zeigte der Abend, war gänzlich unangebracht. Denn der Rektor der Berliner Erich-Maria-Remarque-Oberschule hatte die eindringlichste Botschaft mitgebracht für eine Liaison zwischen dem Lernen hier sowie dem Produzieren und Verkaufen dort. Ohne den Kontakt zur Wirtschaft haben drei Viertel seiner Remarque-Oberschüler wenig bis schlechte Aussichten auf eine Lehrstelle, die beinahe gleichbedeutend mit Zukunft ist.

Morgensterns Schule liegt im Berliner Bezirk Hellersdorf, der in der Regel nur deshalb in die Schlagzeilen kommt, weil die PDS hier bei Wahlen mit Abstand die stärkste Partei ist. Hellersdorf aber ist noch aus anderen Gründen ein bemerkenswertes Quartier: Es ist eines jener künstlichen Viertel der ausgehenden DDR. Am Reißbrett planten die sozialistischen Architekten in den 70ern zehntausende Wohnungen auf die grüne Hellersdorfer Wiese – und vergaßen, die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur zu schaffen. Was das für seine Zöglinge heute bedeutet, machte Morgenstern deutlich: „Unsere Schüler leisten ihre Betriebspraktika in der Regel nur in Verkaufsstellen ab – das heißt an Regalen, Regalen, Regalen.“ Produzierendes Gewerbe, jenen Mittelstand also, der die oft interessanteren technischen Ausbildungen anbieten kann, gibt es in Hellersdorf so gut wie nicht.

Die Remarque-Oberschule wurde von der IHK belohnt. In wenigen Tagen wird es dort ein Stelldichein von Firmen geben. Acht Unternehmen aus Berlin wagen den Weg in Gregor Gysis Hochburg, um sich an der Oberschule vorzustellen und den Teens etwas beizubringen. Bewerbungstraining in verschiedenen Formen ist angesagt. Ein Multimedia-Unternehmer wird den Kids die Berufsbilder der neuen Medien präsentieren. Ein anderes Unternehmen führt in die kaufmännischen Berufe ein.

Der Abend bei der Berliner IHK wäre beinahe überall im Lande von Bedeutung. So sehr sich die jahrelange, unerträgliche Knauserei der Wirtschaft mit Ausbildungsplätzen inzwischen gebessert haben mag, immer noch gehen viel zu viele Schulabgänger bei der Jobsuche leer aus. Aber das Treffen bei der IHK sollte gar nicht den alten Streit zwischen Wirtschaft und (Aus)Bildung aufwärmen.

Die IHK, mehr noch die beteiligten Schulen und die Organisatorin des Tête-à-Tête, Sybille Volkholz, wollen die Beziehungen zwischen Schule und Wirtschaft ganz umfassend erneuern. „Es geht nicht um Schulpartnerschaften mit Betrieben, so wichtig sie heutzutage sind. Wir wollen den Graben zwischen Schule auf der einen und der Wirtschaft auf der anderen Seite überspringen helfen“, sagt Volkholz, die vor zehn Jahren in Berlin das Amt der Schulsenatorin innehatte. Für die bündnisgrüne Politikerin schließt das ein, was zu ihrer Zeit als Kabinettsmitglied wohl undenkbar war: pädagogische Impulse von der Wirtschaft in die Schulen hineinzugeben.

Wirtschaft in der Schule, das kann nämlich durchaus substanzieller sein, als bloß ein weiteres neues Schulfach in die überfüllten deutschen Stundenpläne zu quetschen. Diese Ein-Fach-Lösung wünschen sich viele Industrielobbyisten. Wie eine ganz andere Kooperation aussehen könnte, führte demgegenüber der Journalist Reinhard Kahl vor. Kahl zeigte einen Film über die Kooperation einer Schule mit dem Motorradhersteller BMW, der alle Gewissheiten über Schule und Lehrbetrieb auf den Kopf stellt: Ein Meister der Motorenwerke beklagt in dem Dokustreifen bitterlich, dass die Mehrzahl der Schüler geradezu süchtig nach Noten seien: isoliert denkende Einzelkämpfer, erpicht auf rein formale Bewertungen – was den Lehrherren zur Verzweiflung treibt. Denn sein Ziel besteht darin, den Erfolg eines komplexen Produktionsverfahrens sicherzustellen, eines Verfahrens, das nur im Team zu bewältigen ist. Mit offenem Mund steht da plötzlich eine Lehrerin in der Lehrwerkstatt: Ein Glück, dass unsere Schüler zu BMW kommen durften, sagt sie. „Wir haben viel gelernt.“

Pädagogisches Zeugs

Doch wer gedacht hätte, dass sich die filmisch inspirierten Pädagogen und Produzenten im Ludwig-Erhard-Haus nun um den Hals fallen würden, sah sich getäuscht. Kahls filmische Séance war noch nicht ganz zu Ende, da interventierte einer der Unternehmer barsch. „Mich interessiert dieses ganze pädagogische Zeugs nicht“, polterte der Mann in den mit gut 120 Menschen besetzten Raum hinein. Er wolle nun endlich was von den Schulen hören. Von da an saß man sich wieder mit Glacéehandschuhen gegenüber.

Die beiden Kulturen Schule und Wirtschaft, die Volkholz mit aller Vorsicht zitiert hatte, zeigten sich auch bei ihrer Verlobungsfeier auf eine klischeehafte Weise unterschiedlich. Das verdeutlichten selbst die auf Brückenbau so erpichten Einlader, als sie auf ihrer Teilnehmerliste die Mannen der Industrie alphabetisch, mit vollem Namen, Titel und präziser Firmenbezeichnung anführten, die Vertreter der Schulen aber als namenlose und verschämte Sammelkategorie ans Ende der Liste platzierten. Und da musste der Vertreter des Schulsenators, immerhin ein hoch besoldeter Staatssekretär, erst minutenlang durch den Saal irren, ehe man ihn erkannte und Platz nehmen ließ.

Solche Missverständnisse offenbarten das Problem, das hierzulande herrscht: Schule und Betriebe müssen noch viel voneinander lernen. CIF

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