Labyrinth der Mafia

Wege in die Schuldenfalle: Der Film „Killer“ ist die kühle Studie eines freien Falls im kasachischen Kapitalismus

Mozart kann so brutal sein. Jedenfalls als Musik eines Films aus einem Land, das sich gerade in einer, sagen wir mal, nicht ganz einfachen Übergangsphase befindet: Kasachstan. Dareschan Omirbajew lässt seinen Helden dermaßen konsequent die Treppe hinabsteigen, dass einem glatt schwindelig wird.

Eigentlich begeht Marat nur einen Fehler: sich ein wenig zu stark auf die Zukunft zu freuen. Marats Blick zur Rückbank auf sein Baby ist eine entscheidende Sekunde zu lang. Krach, bumm – schon knallt sein klappriger Dienstwagen in einen hübschen neuen Mercedes. Besetzt mit einem richtig miesen Mafioso – oder einem ganz normalen kasaschischen Geschäftsmann, so genau weiß man das ja nicht. Jedenfalls wird die Reparatur der beiden Autos teuer. So teuer, dass Marat einen Kredit bei einem reichen Typen aufnimmt. Der berechnet die Zinsen tageweise. Was als Schritt nach oben geplant ist – ein Autoimport aus dem Westen –, bringt Marat nur noch weiter in die Schuldenfalle.

Kühl inszeniert ist dieser Film, die formale Strenge und Lakonik erinnern an den französischen Sozialrealismus früherer Tage, und Regisseur Omirbajew, der für seine Film einen Preis in Cannes erhielt, wird schon mit Robert Bresson verglichen. Wir sehen lange Einstellungen von Straßen und Plätzen, die schlimmer aussehen als einst in den ödesten Ecken der DDR. Menschen sind kleiner als Gebäude, viel kleiner.

Marat ist Fahrer eines Matheprofessors. Der gibt zu Beginn des Films ein Interview in einem Rundfunksender; Marat wartet derweil im Auto. Die Stimme des Profs hören wir erst als Kassettenaufnahme auf der Rückfahrt, Echo eines Vergangenen. Der Professor befindet sich in einem verwirrenden Labyrinth: Minutenlang irrt er durch die Gänge des Radiogebäudes, immer wieder weisen ihm Mitarbeiter höflich den Weg, aber wie in einem Albtraum will nirgends der Ausgang kommen. Natürlich ist dieser Irrweg Symbolik, genauso wie die Ausfahrt aus der Garage. Marat bezahlt die beiden Reperaturen mit dem Kredit. Der Mercedesschweinetyp fährt mit seiner Karre rechts raus, vorwärts in die Zukunft, Marat mit dem Auto, das nicht einmal ihm gehört, nach links. Da ist sein Prof längst tot im Institut gefunden worden, das geschlossen wird, eine Bank hat das Gebäude übernommen.

Marat muss zu Fuß nach Hause kommen, still und leise schluckt er alle Schicksalschläge runter. Eigentlich könnte er glücklich sein, mit seiner Frau und dem Kind. Aber jetzt hat er die Schuldenheinis am Hacken. Der Kredithai rechnet Marat mit einem Kindertaschenrechner seinen Kontostand vor. Ein recht hübsches, geräumiges Haus hat der Mann. Und jede Menge Feinde natürlich. Journalisten zum Beispiel. Wäre nicht schlecht, den einen oder anderen davon zu beseitigen. Marat hat keine Wahl: Komm noch einen Schritt weiter runter, ruft die Treppe. Hier unten ist es so schön dunkel.

ANDREAS BECKER

„Killer“, Regie und Buch: Dareschan Omirbajew, Kasachstan/Frankr. 1998