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Bei Hoetzels auf'm Sofa

■ Das Junge Theater spielt in diversen Bremer Privatwohnungen das Zwei-Personen-Aids-Stück „Dossier: Ronald Akkermann“ aus dem Jahr 1995

Bei seinem Theaterbesuch diese Woche hat es Andreas Hoetzel nicht weit gehabt. Für die Bremer Premiere des Stückes „Dossier: Ronald Akkermann“ stellte der Moderator des TV-Regionalmagazins „Buten & Binnen“ kurzerhand sein eigenes Wohnzimmer zur Verfügung. Neben dem Gastgeber durften so etwa zwanzig geladene Gäste beim Auftakt einer ganzen Aufführungsserie dabei sein. Wie es bei Hoetzels hinter'm oder unter'm Sofa aussieht, können wir allerdings nicht berichten. Mit einer Plane überzogen diente das gute Stück als Bühne für Nomena Struß' und Lutz Gajewskis bereits in Berlin erprobtes Living Room Theater.

Mit diesem Projekt erlebt das Salontheater des 19. Jahrhunderts auch in Bremen eine kleine Renaissance. Nach Eigengewächsen oder (Ost-) Berlin-Importen wie den Kunstsalons und Wohnzimmerkneipen bespielt jetzt auch das freie Theater den privaten Raum. Hinter der Idee kann man durchaus auch ökonomisches Kalkül vermuten: Die WohnungseigentümerInnen bezahlen für das Gastspiel (oder rufen anschließend zur Kollekte). Und eine Zahl von 20 bis 30 ZuschauerInnen erscheint niedrig: Im Aufführungsalltag können freie Theater oft froh sein, wenn überhaupt so viele Menschen in ihre Häuser kommen. Zudem weckt im Wohnzimmertheater neben dem Stück auch der Schauplatz Neugier.

Das aus Inszenierungen des Jungen Theaters bekannte Living-Room-Theater-Duo Nomena Struß und Lutz Gajewski ersetzen die normale Abendunterhaltung durch einen einigermaßen schweren Stoff. Suzanne van Lohuizens 1995 entstandenes Drama „Dossier: Ronald Akkermann“ ist auf den ersten Blick ein Stück aus der Hochzeit der künstlerischen Aids-Dramatisierung. In dieser Zeit kamen auch Filme und Stücke wie „Philadelphia“, „Und das Leben geht weiter“ oder „Engel in Amerika“ in die Kinos und auf die Bühnen. Die Niederländerin van Lohuizen erzählt in ihrem Zwei-Peronen-Stück von einer Krankenschwester und ihrem letzten Patienten, einem Aids-Kranken. Gleich nach seinem Tod sucht er sie als Geist auf, und beide rekapitulieren die letzten gemeinsamen 18 Monate. So erzählt van Lohuizen neben der Aids-Geschichte auch vom Abschiednehmen, von Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Und das ist gut so, denn obwohl halb Afrika an dieser Krankheit krepiert, erscheint Aids hierzulande kaum noch als drängendes Thema.

In der gut 60-minütigen Inszenierung Sybille Linkes servieren Nomena Struß und Lutz Gajewski das Stück halb als Lesung und halb als ausgespieltes Theater. Das erzählerisch dicht konstruierte, aber wegen der großen Konkurrenz schon ein bisschen abgespielte Stück gewinnt durch die räumliche Nähe von Schauspielern und Publikum in dieser Wohnzimmer-Theaterfassung viel Spannung zurück. Dem Duo, und ganz besonders Nomena Struß liegt diese kleine Form spürbar gut. Lutz Gajewski spielt seine Rolle in den Rückblenden als kühlen, leicht snobistischen und – wen wundert's – gefühlsverwirrten Kranken, und Nomena Struß gibt die Pflegerin als Frau von nebenan, bei der die Grenzen von Profession und privaten Interessen zusehens verwischen. Das machen die beiden so gut, dass das Geschehen auf dem Sofa des Gastgebers sehr schnell interessanter ist als die Gegenstände darunter.

Christoph Köster

Das Aids-Duett ist mindestens bis Ende September in Privatwohnungen zu sehen. Es gibt auch öffentliche Veranstaltungen. Kontakt dafür sowie für weitere Buchungen unter Tel.: 700 122 oder 700 141.

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