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der taz-olympiakrimi: im schatten der ringe1. Kapitel: In dem Wayne Bruce den IOC-Chef verhört

Todesfall im Herzen Sydneys

Wayne Bruce hatte sofort gewusst, dass diese Sache nicht gut gehen würde. Eigentlich hatte er die Stadt während der Olympischen Spiele verlassen wollen, wie so viele Sydneysider, doch dann hatte ihn, wie so viele Sydneysider, doch noch das Fieber gepackt. Als plötzlich wieder jede Menge Karten, auch für attraktive Veranstaltungen, zu haben waren, hatte er sich zwei Basketballtickets und eins für das Turmspringen gekauft und seinen Urlaub abgesagt. Hätte er das zufriedene Katzengrinsen auf dem Gesicht seines direkten Vorgesetzten, Superintendent Brad Samuelson, rechtzeitig gesehen, wäre vielleicht noch etwas zu machen gewesen. So aber hatte er den Salat. Ehe er sich’s versah, war er der Chef der Sondereinheit olympische Verbrechensbekämpfung des Police Department of Sydney, und nun lag ein toter Afrikaner im Regent’s Hotel.

Zum Glück nicht Samaranch, dachte er grimmig, ohne zu ahnen, dass er so weit daneben nicht lag. Als er am Tatort eintraf, erwartete ihn die Nachricht, dass es sich bei dem Dahingeschiedenen um Thomas Kiwabaki, IOC-Mitglied aus Botswana, handelte. Friedlich saß dieser in dem Sessel, den er sich während einer Sitzungspause der IOC-Vollversammlung als Ruhestätte ausgesucht hatte, ohne zu ahnen, dass es eine seiner letzten sein würde. So friedlich sah er aus, dass Wayne Bruce kurz hoffte, es könnte sich um einen natürlichen Tod handeln. Diese Hoffnung zerstob jedoch, als seine Mitarbeiterin Catherine Wade Kiwabakis Ärmel zurückschob und einen winzigen Einstich im Unterarm offenbarte.

Die ersten Vernehmungen waren unergiebig. Keiner hatte etwas gesehen, keiner hatte etwas gehört, keiner hatte mit dem Botswaner zusammen gesessen, der offenbar nicht zu den beliebtesten der Jünger Olympias zählte. Immerhin etwas. „Wissen wir schon Näheres über ihn?“, fragte Bruce den für solche Fragen zuständigen Kommissar David Persini. „53 Jahre, Rechtsanwalt, besitzt größere Ländereien in Botswana, geschieden, fünf Kinder.“ – „Sind davon welche hier?“ – „Nein, die studieren alle in Salt Lake City, und da befinden sie sich, soweit wir wissen, auch. Und: Der Mann gilt als besonderer Schützling von Samaranch.“

Wayne Bruce schnalzte mit der Zunge. Das war doch was. Eine Audienz beim mächtigen Olympiafürsten hatte er sich schon immer gewünscht. „Machen Sie einen Termin“, wies er Persini an. „Mit Samaranch?“ – „Mit Samaranch!“

Der IOC-Präsident erklärte sich sofort bereit, den Hauptkommissar zu empfangen, und bat ihn zu seiner Suite hinauf, von der er tagelang öffentlich verkündet hatte, dass es keinesfalls die prächtigste im Regent’s sei. Als Bruce durch die Tür trat, wusste er zunächst nicht, wohin er sich wenden sollte. „Hier drüben“, wehte es schwach aus westlicher Richtung herüber. Wayne kniff die Augen zusammen und erkannte undeutlich einen Kamin, vor dem ein Ohrensessel stand. Zwei Minuten später hatte er die Stelle erreicht. Tatsächlich, in dem Sessel saß Samaranch.

„Schrecklich, diese Sache“, stammelte der IOC-Präsident. Das kannte Bruce aus dem Fernsehen, woher er auch wusste, dass man dem Katalanen nur mit brachialen Methoden beikommen konnte. „Wo waren Sie heute Nachmittag gegen 14 Uhr?“, fragte er. „Hier in meiner Suite, wo ich in den Sitzungspausen immer zu verweilen pflege“, entgegnete ungerührt der 80-Jährige, den nichts mehr erschüttern konnte, seit er im letzten Jahr beim FBI zum Verhör antreten musste. „Gibt es Zeugen?“ – „Jede Menge. Aber Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass ich . . . In meiner Position mordet man nicht selbst. Außerdem, was hätte ich für ein Motiv?“ Der erfahrene Polizist war vorbereitet. „Vielleicht wusste Mr. Kiwabaki ja etwas, was Ihren Ruf gefährden konnte.“ – „Meinen Ruf?“ Samaranch stieß ein meckerndes Lachen aus. „Meinen Ruf gefährden? Dass ich ein alter Faschist war, weiß jeder, dass ich die Olympischen Spiele verkauft habe, auch, dass das IOC unter meiner Regentschaft bodenlos korrupt geworden ist, sowieso. Und? Sehen Sie mich an. Ich bin immer noch da. Meinen Ruf kann nichts mehr erschüttern. Da müsste man schon nachweisen, dass ich Kennedy auf dem Gewissen habe oder Prinzessin Diana.“ – „Und?“ – „Wie und?“ – „Haben Sie?“ – „Was?“ – „Diana?“ – „Wenn Prinzessin Anne gegen den Pfeiler gekracht wäre, hätten wir ein Thema.“

Dieser alte Schuft, dachte Bruce, als er die Suite verließ. Viel hatte ihm das Verhör nicht gebracht. Catherine Wade riss ihn aus den Grübeleien. „Kommen Sie mal, Chef. Wir haben da was gefunden.“ MATTI LIESKE

Fortsetzung morgen

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