schnittplatz: Rohrkrepierer„Zeit“-Kritik
Markige Worte, große Gesten, und jetzt das: Da schwingt sich die Zeit nun schon in der dritten Woche zum Sturmgeschütz des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems auf, um ARD und ZDF endlich wieder in die Schranken der Seriosität zu weisen. Nieder mit dem „Quotenterror“ (Zeit vom 7. 9.) und: „Die in systematische Programmarbeit übersetzte Verachtung des Publikums ist der eigentliche Skandal“ (Zeit vom 31. 8.) dröhnte Jens Jessen auf der Titelseite des liberalen Hamburger Traditionsblatts.
Seit gestern präsentiert die aktuelle Ausgabe nun einen Kronzeugen aus dem Bauch des Fernsehens, genauer gesagt aus der Nachrichtenredaktion des ZDF – Alexander Niemetz.
Ausgerechnet Niemetz, der vom ZDF wegen undurchsichtiger Kontakte zu befreundeten PR-Beratern immer wieder kritisiert und wegen umstrittener Nebentätigkeiten noch im April öffentlich vom eigenen Haus abgewatscht wurde.
Kein Wort davon im Blatt. Der Zeit ist Niemetz dagegen die „graue Eminenz des ‚heute journals‘ “ und der letzte aufrechte Recke, weil er „anders als die meisten Gipfelstürmer des Lerchenbergs auch dann noch den Mund aufmacht, wenn Übervater Stolte auf dem Flur zu hören ist“. Der Rest druckst rum, ist zu lesen, und hat Angst vorm Intendanten, der – so suggeriert das Zeit-Dossier – reihum die Redakteure feuert.
Nicht so Niemetz, der Fels in der Brandung. Der muss zwar auch gehen, doch dem fährt der Rauch „aus der Nase wie einem alten Drachen“, und er sagt Bedächtiges wie: „ ‚Frontal‘ durch ein boulevardeskes Magazin zu ersetzen, ist auf alle Fälle gewagt“, als ob die zum Jahresende auslaufende Kienzle-und-Hauser-Show nicht schon längst Boulevard pur war.
Immerhin: Nachdem die Zeit bisher anscheinend noch selber Angst vor dem „Übervater“ hatte und eine geplante Stolte-Replik stattdessen plötzlich im Focus stand, findet sich im Dossier ein knappes Interview.
Ansonsten wird die im Prinzip richtige und wichtige Debatte klar um der Kampagne willen verkürzt: Das ach so gescholtene öffentlich-rechtliche System besteht längst nicht mehr nur aus ARD und ZDF. Doch zu 3.sat, Arte oder Phoenix ist von bildungsbürgerlichen Kämpfern aus Hamburg nicht zu lesen.
STEFFEN GRIMBERG
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