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Mut zur Einfachheit

■ Beim Musikfest: Elitäre Programmgestaltung kann man dem Dallas Symphony Orchester nicht vorwerfen, macht ja nichts

DAS Cellokonzert von Anton Dvorak und Aaron Coplands 3. Sinfonie: eines dieser Konzerte, zu denen man sich mit gramzerfurchter Stirn und müdem Knie hinschleppt. Beim ersten Programmpunkt kennt man jede einzelne Note vorweg, der zweite ist mit starken Kitscherinnerungen bekleckert. Und am Ende trilliert man doch, o, danke, dass ich da sein durfte.

Großes wurde geleistet. Zuerst einmal von den Gestaltern des Programmheftes. Dort sieht Dirigent Andrew Litton auf einem Foto jung und spritzig aus. In Wahrheit stellt er sich als eine Mischung aus Mr. Bean alias Rowan Atkinson und Sigmar Gabriel heraus. Aber vielleicht ist es ja diese optische Mangelhaftigkeit, die Litton so sympathisch uneitel dirigieren lässt. Kein: Seht her, welch gewaltige Gefühlskosmen in meinen genialischen kleinen Fingern stecken. Stattdessen schlägt er das Metrum so, wie man es im Anfängerkurs Dirigieren lernt, und zwar mit beiden Händen, mitsamt der Unendlichkeitsschlaufe auf Schlag 2 und 3. Und siehe da, unterschiedliche Gefühlsvaleurs kann man auch mit standardisierten Gesten sehr gut ausdrücken.

Wenn aber in der Copelandsinfonie die monsterpathetische „Fanfare for the common man“ erst zart, dann dick auftrumpft, dann verkneift sich der Dirigent noch den kleinsten Überschwang, sogar beim überraschenden Zielakkord. Vielleicht ist dieses Stück Demokratiebekenntnis für die US-Amerikaner sogar so heilig, dass nur ehrfürchtige Zurückhaltung erlaubt ist – so neigt man als WesteuropäerIn (vermutlich überflüssigerweise) zu spekulieren.

Gar einige halten vieles von Copeland für die akustische Variante von Hollywood. Einen riesigen Streicherapparat über weite Strecken unisono spielen zu lassen, fordert aber immerhin Mut zur Reduktion. Und manches in der Dritten kann als weise Vorwegnahme der minimal music gedeutet werden. Wenn kleine Motive zwei, drei Mal wiederholt werden, um dann beim nächsten Mal mit einem neuen Ton in Form einer Offenbarung aufzuwarten, dann hat das viel zu tun mit dem minmalistischen Konzept der Erlebnistiefe statt Erlebnismasse. Wie Copeland bei der unendlichen Melodie am Anfang und dann am Ende die Quint immer wieder als Inkarnation von Reinheit zu präsentieren versteht, ist groß.

Das Orchester lieferte manchmal magische Momente wie am leisen Beginn des langsamen Satzes, wo man sich hochkonzentriert von einem Ton zum nächsten tastete. Hauptsächlich aber ist Saft und Sattheit der Zugang zu Dvorak und Beethoven. Im langsamen Satz von Dvoraks Cellokonzert steht eine gewisse selbstgenügsame, glückselige Ruhe des Orchesters in interessantem Gegensatz zum eher sehnsüchtig-zerrissenen Gestus des Solisten, was auch wieder zu Überlegungen über einen womöglich typisch nordamerikanischen Ton verführen mag – wahrscheinlich alles nur Einbildung. Quoten-technisch muss dieses Orchester aber noch an sich arbeiten: nur zwei Afroamerikaner und in Schlagwerk und Blech keine Frauen.

Der Hüne Lynn Harrell, der nicht zuletzt durch das Gelegenheitstrio mit dem schmächtigen Ashkenazy und Zukermann/Perlmann bekannt wurde, zieht gerne alle Aufmerksamkeit auf sich, selbst dann, wenn die Melodie woanders spielt und seine Begleitfiguren eher im Halbbewussten des Klangs zu brodeln hätten. Eine gewisse Eitelkeit, die dem Mann aber nicht schlecht steht. Er zählt zur Kämpfervariante unter den Cellisten. Liebend gerne drückt er am Phrasenende noch mal kräftig nach, reißt den Bogen brachialitätsgierig weg und lauscht mit staunendem Mund ins Orchester mit dem Gestus: Ja, gebt uns noch mehr. Auch drängende, sehnsüchtige Passagen haben bei ihm noch etwas Erdig-Robustes.

Ein charismatischer Musiker, den es lohnt, live zu sehen. Mit Siegerposenfaust beim Applaus reiht er sich ein in die wachsende Zahl derer, die Rockgesten ausleihen. bk

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