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Geister in der Leichenhalle

Wieder mal ist Olympia für Überraschungen gut: Hotelbesitzer halbieren die Preise, undSamaranch wartet immer noch auf einen Bus. Nur das Wetter tut, was es soll: Es ist schön

aus Sydney MATTI LIESKE

Da sage noch einer, es hätte sich nichts geändert beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Präsident Juan Antonio Samaranch, der an einer Bushaltestelle steht, wartet und wartet und wartet, schließlich wütend umkehrt und nach Hause geht, weil sich kein Gefährt seiner annimmt – vor vier Jahren in Atlanta wäre so was undenkbar gewesen. Sydney macht’s möglich.

Rund 150 für Olympia von auswärts verpflichtete Busfahrer sagten kurzfristig adieu, weil ihnen der Job zu stressig, die Verpflegung zu schlecht und die Unterkunft zu spartanisch war. Nun sucht das Organisationskomitee Socog angestrengt 500 neue Busfahrer und bietet sogar einen Stundenzuschlag von umgerechnet rund 5 Mark auf die etwa 900 Mark Wochenlohn (normalerweise verdienen Sydneys Busfahrer etwa 700 Mark pro Woche), um dem drohenden Transportchaos zu entgehen. In Atlanta, dessen Event wegen ähnlicher Schwierigkeiten den Titel „Pannenspiele“ verliehen bekam, kann man sich einer gewissen Schadenfreude nicht enthalten, ist allerdings beleidigt, dass der Name der Stadt immer nur dann fällt, wenn etwas schief geht.

Die Verantwortlichen für den Transport sind indes die Einzigen, die meinen, dass bereits zu viele Menschen in Sydney sind. „Die reinste Geisterstadt“, jammern Hoteliers, die angesichts einer Flut von Stornierungen plötzlich fürchten müssen, dass der große Reibach ausfällt, und ihre Preise teilweise halbierten. Einige zahlen sogar Taxifahrern hohe Prämien, wenn diese ihnen Gäste anschleppen. Die Taxifahrer klagen ebenfalls, und viele kündigten an, auf den zehnprozentigen Olympiazuschlag zu verzichten, um die Kunden nicht zu vergraulen. „Hier ist es wie im Leichenschauhaus“, schimpft ein Cab Driver in Bondi Beach. Olympia ziehe längst nicht so viele Touristen an wie erwartet, schrecke aber andere ab. Hinzu kommt der Exodus der Einheimischen. Die Olympiaflucht ist zwar nicht so gravierend wie prognostiziert, da viele Bewohner der Stadt doch noch kurzfristig vom Olympiavirus gepackt wurden, aber trotzdem hoben am Flughafen in den letzten zwei Wochen rund 10.000 Menschen mehr ab als ankamen.

Unpopuläre Appelle wie jener, doch am besten zu Hause zu bleiben, wenn man kein Ticket für ein Olympia-Ereignis habe, um den Verkehr nicht zu stören, blieben zumindest am Vorabend der Eröffnungsfeier ungehört. Eine Million Menschen strömten in die Innenstadt, als die olympische Fackel ihren Weg zum Opernhaus zurücklegte. Nur im Studentenviertel Newtown gab es noch Proteste, und die arme frühere Leichtathletin und Feuerbotin an diesem Abschnitt, Jane Flemming, eine der beliebtesten Sportlerinnen Australiens, musste sich von für Sydneysider verdächtig unchic gekleideten Gestalten Slogans wie „Bullshit Olympics“ oder „Mehr Drogen für die Spiele“ anhören.

„Ein paar Nörgler gibt es immer“, sagt Mary Harvey, die sich, „um ein Teil Olympias zu sein“, als freiwillige Helferin gemeldet hat und stolz verkündet: „Ich bin froh, dass wir die Spiele haben.“ Damit spricht die Angehörige des Fahrdienstes vielen ihrer Mitbürger aus dem Herzen. Am Hafen, wo sich Idole wie Tennisstar Patrick Rafter, die Profigolferin Carrie „World Wide“ Webb und die legendäre Schwimmerin Dawn Fraser gestern die Fackel in die Hand gaben, herrschte jedenfalls eitel Jubel, ungebremste Feststimmung und eine gehörige Portion australische Selbstbeweihräucherung. Das von internationalen Tennisstadien bekannte „Aussie, Aussie, Aussie – oi, oi, oi“ scholl beharrlich in Richtung der mit fünf leuchtenden olympischen Ringen versehenen Harbor Bridge und wetteiferte auch bei der bis spät in die Nacht dauernden Open-Air-Party um die akustische Vorherrschaft mit den australischen Spitzenbands, die beim größten Freikonzert in der Geschichte des Kontinents auftraten. Kein Zweifel, Olympia ist in Sydney angekommen.

Und Samaranch? Der hat im Moment weit mehr zu verkraften als ausbleibende Busse. Die Wiedergeburt des IOC nach zwei Skandaljahren sollte eigentlich in Sydney stattfinden und gebührend gefeiert werden. Stattdessen kam es knüppeldick. Erst harsche weltweite Kritik an der zu laschen Dopingbekämpfung, welche die Spiele 2000 zu den hormonellsten aller Zeiten werden lässt, dann wurde seine Unterstützung für den indonesischen Schwerverbrecher Mohamad „Bob“ Hasan, Exminister Suhartos und IOC-Mitglied, publik und heftig gegeißelt. Hohe Sportfunktionäre wie der Usbeke Gafur Rachimow (Boxen) und Carl Ching aus Hongkong (Basketball) durften trotz IOC-Protests nicht einreisen, Australiens Behörden erklärten ungerührt, sie hätten eigentlich noch 40 weitere Schurken im Funktionärsgewand abweisen müssen. Schließlich kam aus Salt Lake City die Nachricht, dass dort noch etwa 400 Kisten belastendes Material ihrer Veröffentlichung harren. „Das wird für schlechtes Image sorgen“, ahnt der IOC-Präsident, der am Ende aber doch noch eine tröstliche Botschaft für sich, Sydney und die Welt parat hatte. „Ich bin sicher, das Wetter wird gut.“

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