DIE STEIGENDEN ÖLPREISE BRINGEN ROT-GRÜN AUS DEM KONZEPT: Die Unfreiheit des freien Marktes
Die Wortwahl war gewollt dramatisch: „Regierung erwägt Winterhilfen und Benzingutscheine“, titelte eine Zeitung gestern zum Streit um die hohen Kraftstoffpreise. Winterhilfen, Benzingutscheine, – die Worte zeichnen ein Bild von Deutschland in Kälte und Starre, so als könne man sich demnächst nur noch mit Hilfe von Tretrollern (oder Kickboards) vorwärts bewegen und müsse an der brennenden Mülltonne überwintern. Die Proteste gegen die hohen Spritkosten geraten solcherart zwar zur Karikatur – mit der Empörung über die hohen Ölpreise ist jedoch tatsächlich eine neue Stufe im politischen Verteilungsstreit erreicht.
Künftig, so zeigt sich, drehen sich die Ängste einer Mehrheit nicht mehr vor allem um den Arbeitsplatz und auch nicht um Sozialleistungen. Künftig fürchten die Kleinunternehmer und Familien eher steigende Preise, höhere Kosten für den privaten Verbrauch, kurz: schlichte marktwirtschaftliche Prozesse. Nach einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung belegt die Furcht vor dem Anstieg der Lebenshaltungskosten und darunter besonders der Kraftstoffpreise den ersten Platz auf der Hitliste der Ängste. Zuvor waren die Deutschen vor allem über die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt besorgt.
Die liberalisierten Märkte machen also Angst – irgendwie ist man nicht vorbereitet gewesen auf die rasant steigenden Ölpreise auf dem Weltmarkt, auf die Folgen eines schwachen Euro. Doch wogegen soll sich der Unmut richten? Es ist tragisch, dass jetzt ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung als Feindbild herhalten muss.
Die politische Tragik wird deutlich am Beispiel der kleinen Fuhrunternehmer. Die Speditionsbranche ist eine Wildwestbranche, Outsourcing und Scheinselbstständigkeit haben alle wirtschaftlichen Risiken auf die Schultern von Einzelunternehmern verlagert. Verschlechtert internationale Konkurrenz die Auftragslage, spürt dies der Einzelne in seiner Bilanz – zumal es ohnehin zu viele Fahrer gibt, schließlich erfordert der Job keine langjährige Berufsausbildung. Die Ökosteuer müsste somit eigentlich die geringste Sorge der Fahrer sein. Doch sie liefert das so dringend benötigte Feindbild: die rot-grüne Regierung.
Die Folgen des so genannten freien Wettbewerbs, nämlich eine verschlechterte Wirtschaftslage für viele Einzelne und der daraus folgende allgemeine Unmut, behindern das politische Vorhaben der Zukunft, den Verbrauch steuerlich zu belasten. Das ist die tragische Verknüpfung.
Die Ankündigungen Schröders, „soziale Korrekturen“ gegen die hohen Heizöl- und Benzinpreise einzuleiten, wirken vage. Wo soll er anfangen? Bessere Abschreibungsmöglichkeiten für die Fuhrunternehmer? Aber geht es den Baufirmen nicht genauso schlecht? Wer zählt eigentlich zu den Geringverdienern? Ein paar Korrekturen wird es wohl geben. Vor allem aber zeigt sich: Fragen der Preisentwicklung werden die politischen Fragen der Zukunft mit bestimmen. Sie lassen sich nicht allein in den freien Markt verbannen. BARBARA DRIBBUSCH
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