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Die Szene blieb im Bett

■ Kultourbahn präsentierte Jugendszenen in Bremen ohne Jugend / Der Trip durch die Innen- und Neustadt war laut, amüsant und ohne Chance auf Pinkelpausen

„Um 14 Uhr nachmittags steigen Jugendliche nicht in die Straßenbahn, um vier Stunden durch Bremen zu fahren – da denken die gerade über`s Frühstück nach“, sagt Marina Stahmann vom Jugendring Bremen. Hätten sie mal das Frühstück ausfallen lassen, wären aus dem Bett und in ihre lässigen Szeneklamotten gesprungen. Dann hätten sie an der Domsheide die Kultourbahn bestiegen, die am Samstag unter dem Motto „Die coole tour – Jugendszene(n) on the road“ unterwegs war. Hätten sie mal. Ham sie aber nicht.

So war die Bahn zur Hälfte mit Presse, OrganisatorInnen und Akteuren gefüllt und die andere Hälfte mit Theaterabonnements-Publikum, die nicht mehr wirklich der Jugendszene dazuzurechnen sind. Die Szene lag noch im Bett, fand Kultourbahn affig, die Musikanlage zu improvisiert und hat zu Hause bessere Musik, berichtet Stahmann von ihren müßigen Versuchen, diejenigen anzusprechen, deren Lebenswelten bei der 11. Kultourbahn erstmals im Mittelpunkt stehen sollten.

Tim Schomacker – unter anderem tätig für das Literaturkontor – hat zusammen mit Stahmann, Jutta Günther von Radio Bremen und Ute Krome von der BSAG das Programm zusammengestellt. Er erzählt, dass zum Beispiel viele Hip- Hopper abgesagt hätten, weil sie auf dem Profi-Trip seien. Stattdessen gab es klassische Musik und Standardtänze. „Das ist auch Jugendkultur. Die Idee war, die Vielseitigkeit von Jugend mit so einem Programm zu repräsentieren, zu zeigen, dass das keine Jugend ist, die nichts tut.“

Die Schwierigkeit war, Jugendliche dafür zu begeistern, auf diesem Wege auch andere Szenen als die eigene kennen zu lernen. Dabei gab es einiges zu gucken und zu hören, so dass die Pinkelpausen-Kalkulation nicht einfach war. Um 15.01 beim Theater am Goetheplatz aussteigen, um hurtig Wesentliches zu erledigen, hieß für Erik den Piercer, eine Minimodenschau, die Zirkusschule JOKE und Steffen Mordhorsts Beitrag für „Jugend forscht“ zu versäumen.

Dafür erwischte ich um 15.35 an der Balgebrückstraße rechtzeitig die Straßenbahn, um Erkan Altun vom Jungen Theater aus „kanak sprak“ lesen zu hören. Die Lesung ging leider im Straßenbahn- und Fahrgastlärm unter, genauso wie andere Beiträge, die Jugendprojekte wie das „Nix da!-Bündnis“ oder die „Zett“- Jugendredaktion vorstellen sollten. Ungeteiltere Aufmerksamkeit hatte alles, was laut war und durch die ganze Straßenbahn fegte. Besonders unüberhör- und -sehbar: Andrea Liebezeit und Denis Fischer vom Jungen Theater, die eine Szene aus Race spielten. Inklusive druckvollem Urinieren in die Türöffnung. Oder die zwölf Mädchen der Theatergruppe „Dritte Ebene“ in schwarzen Trenchcoats, Sonnenbrillen und rosa Wasserpistolen. „Immer langsam“ murmelte ein Senior, der wohl noch nie Mädchen erlebt hatte, die richtig Krach machen und dabei nicht hysterisch wirken.

Lärm war keine knappe Ware an diesem Samstag und immer wenn niemand vom Jungen Theater oder vom MOKS auf Promotour durch den Wagen brüllte, produzierten sich die drei ehemals jugendlichen DJs an ihren Reglern. Schomacker vermutet, dass das den meisten wohl gereicht hätte: Musik, Tanzen und gut. Ob dann wirklich so viel mehr Jungvolk gekommen wäre, bleibt fraglich. Marina Stahmann vermutet, dass nicht nur der niedrige Coolness-Faktor mehr Engagement verhindert hat. „Wir haben 25 Prozent Mittelkürzungen, von denen der ganze Jugendbereich bedroht ist. Und dann plötzlich, wenn so eine Bahn gut sichtbar durch Bremen fährt, sollen sie sich wieder ehrenamtlich beteiligen.“

Eiken Bruhn

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