Filibuster in künstlicher Gischt

Die Wildwasser-Kanuten paddeln abseits der Spiele auf einer Strecke von Menschenhand um ihr natürliches Dasein

aus Sydney MATTI LIESKE

Wenn sich eine Stadt um die Olympischen Spiele bewirbt, verspricht sie den Sportverbänden in der Regel das Blaue vom Himmel. Wenn sie Olympia dann im Sack hat, sind es gemeinhin die Slalomkanuten, die als Erste merken, dass nun ein anderer Wind weht. Nur dreimal schafften es die Wildwasserpiraten vor Sydney ins Programm der Olympischen Spiele, erstmals 1972 in München, dann erst wieder 1992 in Barcelona und zuletzt 1996, dies aber bloß ganz knapp und in einem anderen Staat. Bei der Suche nach einem Wildgewässer wurden die Organisatoren der Spiele von Atlanta erst im benachbarten Tennessee fündig. Dort sorgten spektakuläre Natur und begeistertes Publikum dann für ein äußerst stimmungsvolles Event, weshalb sich die Kanuten erst mal auf der sicheren Seite wähnten.

Die Idylle war jedoch trügerisch, wenig später standen sie bereits wieder vor der olympischen Ausrottung. Sydneys Organisationskomitee hatte nicht mal ein Tennessee zu bieten, und deshalb strich es den Kanuslalom kurzerhand aus seinem Programm. Helle Aufregung beim Internationalen Kanu-Verband (ICF), bitteres Lamento über gebrochene Zusagen und zu guter Letzt gab es doch noch eine Kompromisslösung. Die ist jetzt in Penrith, 70 km von Sydneys Zentrum entfernt, zu bewundern: das Whitewater Stadium. Die einzige „menschengefertigte“ Wildwasserstrecke der südlichen Hemisphäre, wie stolz verkündet wird, ein künstlicher Sturzbach der heimtückischen Art mitten in einer anheimelnden Landschaft mit Seen und bewaldeten Hügeln drumherum. Rund 8 Millionen Mark hat das wasserhaltige Schmuckstück gekostet, mehr als die Hälfte steuerte die Regierung von New South Wales bei, den Rest zu gleichen Teilen die Gemeinde Penrith, die schon durch die Regattastrecke der Ruderer und Kanusprinter olympische Adelung erfuhr, und der Kanu-Weltverband, der auf diese Weise seinen turbulenten Ableger vor dem Fiasko olympischer Ausgrenzung bewahren konnte.

Gestern wurden die ersten Medaillen auf dem Kurs vergeben, den 14 Kubikmeter Wasser, die pro Sekunde aus dem benachbarten Aufwärmsee der Ruderer in den Kanal gepumpt werden, zum „gefährlichsten Gewässer im Raum Sydney“ werden lassen, wie die örtliche Presse recherchiert hat. Heftig wehte der gefürchtete Wind, der die Torstangen über dem tosenden Gewässer tanzen ließ, sodass die Hindernisse noch unpassierbarer wurden, als sie ohnehin schienen. Dafür schien die Sonne, und 12.500 Zuschauer, die einen der weitesten Wege dieser Spiele auf sich genommen hatten und die provisorischen Stahltribünen bevölkerten oder in trauter Picknickatmosphäre auf dem Rasen, der die Strecke säumt, lagerten, fühlten sich verpflichtet, die Feuchtsportler gebührend anzufeuern.

Während die deutschen Medaillenträume allesamt in der Gischt des Penrith Whitewater Stadium zerstoben, bewiesen die Sieger vom Occeo-River 1996, dass sie auch auf künstlichem Terrain schwer zu schlagen sind. Dem Slowaken Michal Martikan, der vor vier Jahren 17-jährig sein noch jüngeres Land in Entzücken versetzt hatte, gelang dies allerdings nur im zweiten Lauf des Einer-Canadiers, den er mit phänomenaler Bestzeit beendete. Im verpatzten ersten Durchgang war er nur Fünfter gewesen, was den Ian Thorpe des Kanutums, der 1998/99 kein einziges Mal verloren hatte, die Goldmedaille kostete. Der Franzose Tony Estanguet behielt die Nerven und rettete knapp zwei Sekunden seines Vorsprungs aus dem gewonnenen ersten Lauf ins Ziel.

Fast hätte Brigitte Guibal den Sweep a la francaise im Kajak perfekt gemacht, doch eine unfreiwillige halbe Eskimorolle vor dem letzten Tor raubte ihr die letzten Chancen, die Olympiasiegerin von 1996, Stepanka Hilgertova, von der Spitze zu verdrängen. „Bei Tor 22 war ich zu nahe dran“, schilderte die 30-jährige Französin später ihr Missgeschick, „ich musste irgendwie durch, dann bin ich umgekippt und brauchte alle Konzentration und Kraft, um wieder hochzukommen.“ Das schaffte sie gerade rechtzeitig vor dem letzten Tor, dessen Verfehlen nicht nur Gold, sondern jegliche Platzierung gekostet hätte. Stepanka Hilgertova sah es mit Wohlgefallen, auch wenn die Tschechin später erklärte, sie habe ja eine Medaille sicher gehabt und sei daher ganz gelassen gewesen.

Während die Frauen ihre Wettkämpfe im Slalom mit dem Kajak abgeschlossen haben, stehen bei den Männern noch Zweier-Canadier und Kajak auf dem Plan, bevor das Whitewater Stadium von Penrith wieder im Dornröschenschlaf versinkt und sich der bange Blick der Slalomkanuten gen Athen richtet. Wildwasserrennen auf dem Styx, das wär doch was.