Die Feinde in meinem Körper

Was passiert, wenn das eigene Herz zu etwas Fremdem wird? Jean-Luc Nancys Essay „Der Eindringling“

Mittelpunkt dieses Buches ist der Autor selbst, Jean-Luc Nancy – 1940 geboren, Professor für Philosophie in Straßburg.

Mit fünfzig Jahren bekam er derartige Herzprobleme, dass er vor der Wahl stand, daran sterben zu müssen oder sich ein Spenderherz einpflanzen zu lassen. Jean-Luc Nancy berichtet von den Vorahnungen, dem Einsetzen des Spenderherzens und von dem, was nachfolgt. Als Eindringling wird zunächst einmal das eigene Herz wahrgenommen, weil es nicht mehr richtig funktioniert. Von da an werden im Text Worte wie „ich“, „selbst“, „das eigene“ sehr oft in Anführungszeichen geschrieben.

Das nun fremd gewordene, eigene Organ, als sei es nicht mehr ihm zugehörig, wird entnommen und dafür das fremde Herz eingesetzt. „Doch dauert es nicht lange, bis sich der andere als Fremder kundtut.“

Der Autor wendet sich in seinem Text, nach der Transplantation, nicht dem Gefühl der Fremdheit gegenüber dem Organ, welches einem anderen gehört hatte, zu, sondern dem, was der Körper vorgibt, der „Abstoßung“. „Mein Immunsystem stößt das des anderen ab. (Das bedeutet, dass ,ich‘ zwei Systeme ,habe‘, dass meine Immunität aus zwei Identitäten besteht . . .)“ Bevor man quasi richtig zum Nachdenken kommt, findet die Entfremdung schon körperlicherseits folgendermaßen statt: „Die Medizin vermindert dessen“ (Patient) „Immunität, damit er das Fremde erträgt. Sie entfremdet den Patienten also seiner selbst, der Identität seiner Immunität, die so etwas wie seine physiologische Signatur ist.“ Und sprachlich steht dann natürlich auch „mein“ Herz in Anführungszeichen.

Der Autor beschreibt nun weiter, wie er unter Folgeerscheinungen wie Virenbefall und Krebs leidet, wogegen er nun ebenfalls behandelt wird, und wie die fremden Dinge sich in seinem Körper mehren: „Schrauben“ in der „Hüfte“, eine „Einspritzöffnung“, „eiserne Fäden“, die den „Brustkorb zusammenhalten“. „Man fühlt sich nach diesem Abenteuer verirrt und verwirrt. Man erkennt sich nicht wieder.“

Wann wird das Fremde unerträglich fremd und „verwirrend“, und wann nimmt man es in Kauf? So hat sich jemand die Hand eines Toten annähen lassen, weil er seine bei einem Unfall verlor; Blinde ließen sich Chips in den Kopf einpflanzen, um etwas sehen zu können. Anorganisches und Organisches, Totes und wieder zum Leben Erwecktes werden verwendet, aber man hört wenig Klagen, dient es doch der Verbesserung der Lebensqualität. Darin liegt der Unterschied, geht es um Lebensverbesserung oder Lebenserhaltung, tue ich etwas aus freiem Willen, oder bleibt mir keine Wahl? Und letztlich, noch einmal auf den Titel des Buches zurückkommend, sieht Nancy den Eindringling in der Gattung selbst: „Der Eindringling ist kein anderer als ich selber – als der Mensch selbst. Kein anderer als derselbe, der nicht aufhört, sich zu verändern, scharfsinnig und doch erschöpft, entblößt und doch übermäßig ausgestattet, Eindringling sowohl in der Welt als auch in sich, aufwühlender Stoß des Fremden, conatus einer wuchernden Unendlichkeit.“

Ein lesenswertes Buch, welches eigene Erfahrung und philosophische Sicht miteinander verbindet. KRISCHAN SCHROTH

Jean-Luc Nancy: „Der Eindringling“. Aus dem Französischen von Alexander Garcia Düttmann. Merve Verlag, Berlin 2000, 60 Seiten, 14 DM