Schnodderbarock

Feridun Zaimoglu hat seinen ersten rein fiktiven Text geschrieben: „Liebesmale, scharlachrot“ bietet Verbalschlachten unter Freunden

von CRISTINA NORD

„Ich geb dir reinen Stoff. Du bist mein Dealer. Geh und verkauf das Zeug!“ Mit diesen Sätzen schließt Feridun Zaimoglus zweites Buch, „Abschaum“, das sich im Untertitel „Die wahre Geschichte von Ertan Ongun“ nennt. Die Hauptfigur, ein Drogendealer und Zuhälter türkischer Herkunft, erzählt dem Diktafon des Autors Episoden aus seinem Leben, berichtet von den Stationen seiner kriminellen Karriere, von seiner Zuhälterei, von toten Freunden. Ein sympathischer Zeitgenosse ist er nicht, dieser Ertan Ongun, aber Zaimoglu lässt ungerührt das Aufnahmegerät laufen, transkribiert, macht aus der Rohfassung einen lesbaren Text. „Abschaum“, so will es der Autor, dealt nicht mit Fiktionen, sondern mit der rauen Wahrheit.

So wie mit Ertan Onguns Geschichten verhält es sich auch mit den anderen beiden Büchern Zaimoglus, mit dem Erstling „Kanak Sprak“ und mit „Koppstoff“. Dass der 1964 geborene, in Kiel lebende Feridun Zaimoglu als Erster Befindlichkeiten und Selbstverständnis der dritten Einwanderergeneration einfängt, bringt ihm zu Recht viel Zuspruch ein, gerade von denen, aus deren Biografien er seine Texte speist. Schluss macht er mit den Klischees der Gastarbeiterliteratur, Schluss mit der Geschichte vom Kulturkonflikt, an dem Migranten angeblich scheitern müssen. Nicht an der bikulturellen Existenz, hält Zaimoglu dem entgegen, verzweifeln die von ihm Porträtierten, sondern an der Ablehnung, die ihnen in Deutschland entgegenschlägt. Der 29-jährige Memet bringt es in „Kanak Sprak“ auf den Punkt: „Man sagt dem bastard, er fühle sich unwohl, weil zwei seelen bzw. zwei kulturen in ihm wohnen. Das ist eine lüge.“

Nun ist es bei genauerer Betrachtung gar nicht so einfach mit einer Literatur, die keine sein will, weil sie doch nur protokolliert, Wirklichkeit festhält, real existierende Sprecher statt fiktiver Figuren auftreten lässt. Stilisierung und Fiktionalisierung gehören dazu – genauso wie eine Sprache, die, so wie Zaimoglu sie entwirft, nicht vom Diktafon kommen kann. Das stört aber nicht weiter, im Gegenteil: Gerade dass der Autor das Tonbandmaterial mit seinem Schnodderbarock überformt, macht den Reiz von „Kanak Sprak“, „Abschaum“ und „Koppstoff“ aus.

Jetzt ist Zaimoglus viertes Buch erschienen. „Liebesmal, scharlachrot“ ist der erste Text, der sich als Fiktion zu erkennen gibt – wiewohl Zaimoglu auch diesmal die Autorenschaft an seine Figuren weitergibt: „Liebesmale, scharlachrot“ ist ein Briefroman. Im Mittelpunkt stehen zwei junge Männern. Der eine, Serdar, verbringt die Sommermonate bei seinen Eltern an der Westküste der Türkei; der andere, Hakan, schlägt sich durch im heimatlichen Kiel, ohne geregelte Arbeit und ohne geregelte Einkünfte. Der erste Brief datiert vom Tag nach dem Sommeranfang, der letzte vom 12. Oktober; dazwischengeschaltet sind ein paar an Serdar adressierte Briefe aus der Feder zweier Frauen, Anke und Dina. Derentwegen ist Serdar aus Kiel abgereist. Er war nicht mehr Herr seiner Liebschaften.

Die beiden Protagonisten tragen einen Erzählerwettstreit aus, was unterhaltsam ist, insofern ihre Anekdoten – etwa die vom Skorpionfang, bei dem das totgeglaubte Tier zu neuem Leben erwacht, oder die vom liebestollen Dönerbudenbesitzer, der sich einen Fuß nicht mehr wäscht, um die Angebetete für sich zu gewinnen – auf Pointe geschrieben sind. Ebenso unterhaltsam sind die Verbalinjurien und Schimpftiraden, die Serdar und Hakan einander in freundschaftlicher Verbundenheit um die Ohren schleudern: „Du Büschelohrsumpfeuliges“ ist noch milde, richtig zur Sache geht es, wenn schlecht über Dritte geredet wird: „Wenn man ihn so vonnem Scheitel bis zum Kobrakopf musterte“, heißt es von einer Nebenfigur, „kam man schnell auf so ne Schlussfolgerung, dass der Typ bestimmt statt innem Mutterbauch im Treibschlamm geruht haben musste. Er sah wirklich aus, als hätt n Schwarm von Einzellern beschlossen, s Singledasein aufzugeben und ne Köperkommune zu bilden.“ Zaimoglu lässt die Fantasie überschäumen, tänzelt in Sprachkapriolen, die aus der Verzahnung des Deutschen und Türkischen entstehen, und er feiert den Nonsens, der wild aus den Zeilen schießt.

Bloß: Was will „Liebesmale, scharlachrot“ erzählen? Natürlich wäre es vermessen, von Zaimoglu zu verlangen, dass er jede Zeile, die er schreibt, den Sorgen und Nöten junger Migranten widmen möge. Einen Autor auf eine – literarisch wie auch immer gestaltete – politische Aussage zu verpflichten, wäre nichts anderes als Rassismus unter umgekehrtem Vorzeichen. Doch dies ändert nichts daran, dass „Liebesmale, scharlachot“ jenseits der Anekdoten leer bleibt. Als käme Feridun Zaimoglu ohne die real existierenden Geschichtenlieferanten seiner früheren Bücher nicht aus, ist die dramatische Zuspitzung, auf die der Roman zusteuert, konstruiert, ist die Liebesgeschichte nicht gefährlich, sondern unmotiviert.

Was bleibt, sind Serdars Verdauungs- und Erektionsprobleme, denen Zaimoglu viel Raum schafft. Zu viel. In einem Brief Hakans heißt es einmal: „Mittlerweile kann ich ne Doktorarbeit über den Schwanz meines Kumpels schreiben.“ Wir könnten das auch. Ob wir es wollen, ist eine andere Frage.

Feridun Zaimoglu: „Liebesmale, scharlachrot“, Rotbuch Verlag, Hamburg 2000, 280 Seiten, 36 DM