piwik no script img

Greise Königskinder

Rainer Kaufmann hatte wohl keine Lust, den Noll-Roman „Kalt ist der Abendhauch“ zu verfilmen. Er hat es aber doch getan. Und knüpft damit leider an „Die Apothekerin“ an

„Manchmal braucht man ein ganzes Leben, um fünf Minuten glücklich zu sein“, steht auf dem Presseheft. Und manchmal braucht man noch länger, damit ein Film glückt. Die Story von „Kalt ist der Abendhauch“ ist eine typische Ingrid-Noll-Geschichte: Charlotte (Gisela Trowe), eine robuste Dame jenseits der 80, wartet auf die Liebe ihres Lebens (Heinz Bennent). Denn als die beiden noch zwei junge Königskinder (Fritzi Haberlandt und August Diehl) waren, da hatten sich die beiden so lieb und konnten, ach, nicht zueinander kommen ...

Und so erzählt Charlotte ihrer Puppe Huldchen (wegen des schönen Namens eindeutig der Lichtblick im Film) von früher, von ihrer heimlichen Liebe zu Hugo, der aber die Schwester Ida vorzog, vom Drama mit ihrem homosexuellen Bruder, vom autoritären Vater (Vadim Glowna) und wie die Mutter (Elisabeth Trissenaar) nach dessen Tod die Firma weiterleitete. Und immer wieder Hugo. Charlotte war sich sicher, dass Hugo sie ebenfalls liebt, auch wenn er Ida heiratet und mit ihr Kinder hat. Das war schon dramatisch damals.

Heute trägt Charlotte eine freche Kurzhaarfrisur, hat Familie (Tochter Gisela Schneeberger und Enkelsohn Fabian Busch) und sich die Nase operieren lassen. Und an diesem unglaubwürdigen Detail, dass die nicht vorhandene Ähnlichkeit zwischen der jungen und älteren Charlotte-Darstellerin vertuschen soll, merkt man, was dem Film fehlt (dem Buch übrigens auch, doch dazu später): Er scheint in weiten Teilen einfach lieblos inszeniert. Als ob man den Drehtag runterreißen wollte, um schnell nach Hause zu kommen.

Rainer Kaufmann, der nach der Noll-Verfilmung „Die Apothekerin“ mit der Fehlbesetzung Katja Riemann zumindest formal mit „Long Hello and Short Goodbye“ einen sehr ambitionierten Film abgeliefert hat, schien keine richtige Lust zu haben, in die psychologischen Tiefen und Tücken der Geschichte einzudringen. Dabei gibt es einige: die Beziehung zu den Eltern, die unerfüllte Liebe, Charlottes Mann Anton als störender Heimkehrer (Ingo Naujoks), vor allem aber die vorsichtigen Versuche zwischen den alt gewordenen Protagonisten, sich körperlich wieder nahe zu kommen – Sex im Alter ist ein viel zu selten und viel zu stereotyp thematisiertes Feld. Und Kaufmann kann das leider auch nicht ändern, bei ihm verkommen die zarten Bande zwischen der reifen Charlotte und ihrem reifen Liebhaber zur Groteske, und noch schlimmer: Es wird einfach albern.

Wie hatte Ingrid Noll das in ihrem Bestseller gelöst? Gar nicht eigentlich. Das Buch lebt von der Idee, dass eine ältere Dame frei, oder, um im Senioren-Vokabular zu bleiben, frank über ihr Leben spricht. Darauf baut Noll. Und wickelte damit vor allem Brigitte-Leserinnen ein: Das Blatt feierte die 64-Jährige euphorisch. Aber der im Buch noch durch eine feine Lakonie und teilweise ironische Wendungen ausgezeichnete Redefluss der Charlotte wird im Film immer wieder unsanft unterbrochen durch Slapstick-Elemente, durch schwülstige, aber trotzdem farblos in die Landschaft hingeworfene Momente, in denen Charlotte und Hugo sich ihre Liebe gestehen. Und natürlich durch die groteske Geschichte an sich: Charlotte, das erfährt man nach und nach, trägt ein fieses Geheimnis mit sich herum. Als ihr Mann Anton damals überraschend aus dem Krieg in die Idylle platzte, die sie sich mit ihrem heimlichen Liebhaber Hugo aufgebaut hatte, kam es zum Eklat. Seitdem hat Charlotte eine Leiche im Keller. Die Szene, in der der ausgehungerte und verwundete Anton Charlottes Küche verwüstet und verdreckt, ist aber leider eine der oberflächlichsten im Film: So spekulativ wird das schwierige Thema Kriegsheimkehrer behandelt.

Diese Leiche in Charlottes Keller bzw. Vergangenheit spielt später eine Art Joker-Rolle beim Veteranentreffen (Hugo + Charlotte). Jedoch kann das den Film auch nicht plötzlich in eine gelungene schwarze Komödie oder eine morbide Tragödie verwandeln. Genauso wenig wie die SchauspielerInnen, die teilweise überzeugend (Vadim Glowna, Fritzi Haberlandt, August Diehl) in ihren merkwürdig angelegten Rollen herumirren, teilweise aber auch zu dick auftragen (Gisela Trowe, Heinz Bennent). Irgendwie bleibt nach „Kalt ist der Abendhauch“ nur ein kalter Abendhauch an Bildern zurück, der schnell verfliegt. JENNI ZYLKA

„Kalt ist der Abendhauch“. Regie: Rainer Kaufmann. Mit August Diehl, Fritzi Haberlandt, Gisela Trowe, Heinz Bennent, BRD 2000, 124 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen