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Keine Provinzposse

Diesmal außergewöhnlich gut: Kommenden Montag startet das Filmfest Hamburg  ■ Von Tobias Nagl

Hamburg hat ein Filmfestival, da kann niemand etwas dagegen haben, auch die nicht, die sich mit dem „roten Teppich und Blitzlichtgewitter“ nicht ganz so sicher sind wie die Glamour sehenden Verfasser des Programmheftes. Hamburgs Filmfestival, das offiziellerweise auch gerne in affektiert-nomalisierter Form „Filmfest“ ohne bestimmten Artikel genannt wird, liegt spät im Jahr: Nach Berlin, Rotterdam, Cannes und Venedig haben die Großkritiker ihre Arbeit längst verrichtet; das „Filmfest“ lässt uns Daheimgebliebenen so auch immer an deren Geschmacksarbeit teilhaben. Und mehr noch: Hamburg verleiht auch einen Filmpreis. Und zwar den vielleicht unbekanntesten Deutschlands, der dennoch den sicher schönsten Namen der Welt trägt: den Douglas-Sirk-Preis.

Wie jedes Jahr gibt es dabei große und kleine Neuigkeiten und Kontinuitäten, aber kaum Skandale: Hier und da neue Kooperationen und erhöhte Gelder; viele junge Praktikantinnen, die Festivalleiter Wutz bei seiner Arbeit zur Hand gehen. Geblieben ist die nicht überall auf Gegenliebe stoßende Einteilung des Programms nach „stimmungsvollen“ Farbschienen, sowie das Tesafilm-Newcomer-Festival, das im zweiten Jahr seines Bestehens dem Prinzip des Kultursponsoring tatsächlich den guten Namen zurückgeben könnte, den es selten hatte. Erhalten geblieben sind ebenfalls die „tv movies made in hamburg“, die im Namen schon den Stand der Dinge in der Hansestadt führen. Und eine Retrospektive fehlt nach wie vor.

So weit so gut. Erstaunlich ist nämlich dann doch, was für ein bemerkenswertes Programm mit den zur Verfügung stehenden Mitteln einmal mehr zusammengestellt wurde, denn Provinzialität hin oder her – was zählt sind die Filme. Die sind ungewöhnlich gut, und das beginnt schon beim diesjährigen Douglas-Preis-Träger: der mit Chungking Express auf dem westlichen Arthouse-Circuit bekanntgewordenen Wong Kar-Wai. Wie der letztjährige Gewinner Jim Jarmusch trägt er den Titel des aus Nazi-Deutschland exilierten Hollywood-auteurs zu Recht: Was ein Melodram ist, wie sich die Verlorenheit des Menschen in Farbe und Bildkomposition emotionalisieren lässt, weiß kaum einer so wie er. Niemand außer Tarantino hat das Kino der 90er-Jahre samt seiner vermeintlichen MTV-Ästhetik so geprägt wie er und zugleich dafür gesorgt, dass sich mit Hongkong mehr als Action und Horror verbindet. Um jenen Verdienst zu unterstreichen, präsentiert das Filmfest gleich mehrere bemerkenswerte Produktionen aus Ost-Asien.

Wongs In the Mood for Love knüpft allerdings nicht beim verwackelten Handkamera-Impressionisten an, für den ihn viele zu Unrecht halten, sondern nimmt sich stilistisch aus wie der über zehn Jahre unrealisiert gebliebene zweite Teil seines antonioniesken Days of Being Wild: So eng wie die in ihrer Geometrie stoisch fotografierten Pensionsgänge ist die Welt seiner Stars Tony Leung und Maggie Cheung, die aus Not eine Liaison eingehen, die unerfüllt bleibt. Wo es Wong gelang, nicht zuletzt durch die ausgesuchte Verwendung westlicher Filmmusik, sich zum globalen Autorenfilmer aufzubauen, muss der japanische Genre-Handwerker Takashi Miike noch entdeckt werden. Mit Audition und Dead or Alive sind zwei seiner bes-ten Filme aus der Rotterdamer Retro zu sehen. Audition ist in seiner Thriller-Konstruktion wahrhaft vertrackt: Eine Stunde lang wird arglos eine Soap-Opera erzählt, die sich in der letzten halben Stunde gnadenlos selbst zerstört: Kunstvoller und psychologischer wurde selten gesplattert. Masahiro Kobayashi (Bootleg Film) dagegen lässt die Gewalt allein im Off stattfinden: Zugleich Film Noir und Melodram erzählt Koroshi die berufsbedingten Sorgen eines zum Killer umgeschulten Familienvaters als „Schneefilm“ in der Tradition von Fargo. Äußerst verstörend, allerdings durch eine extrem halluzinatorische Erzählweise, ist der Tesafilm Memento Mori des koreanischen Regisseurs-Duos Kim Tae-yong und Min Kyu-dong: Allein Picknick am Valentinstag oder Heavenly Creatures haben die Pubertätssorgen junger Mädchen ähnlich surreal entwickelt.

Von den Schwierigkeiten des „Coming-of-Age“ erzählt auch der iranische Film Djomeh. Die Faszinationskraft dieses noch hauptsächlich von Kritikern gefeierten Kinos wird allerdings in Jafar Panahis außergewöhnlichem The Circle noch deutlicher. Der im iranischen Kino so prominente Neorealismus verbindet sich darin mit einer virtuos-reigenhaften Episodenstruktur zu einer Anklage islamistischer Männerherrschaft. Wenn am Ende die Klappe einer Gefängnistür fällt, erreicht The Circle eine selten allegorische Deutlichkeit.

Endlos ließe sich so weitererzählen: Neben Takeshi Kitanos erstem Hollywoodfilm (Brother) sind mit dem neuen Film der Coen-Brothers (O Bro-ther, Where Art Thou?) und Curtis Hansons Die Wonderboys auch zwei ausgezeichnete amerikanische Produktionen am Start, mit Ken Loachs europäisch finanziertem USA-Debüt Bread and Roses, einer Streikgeschichte lateinamerikanischer Migrantinnen, sogar eine politisch erstaunlich klug inszenierte. Eine Lektüre des ausliegenden Programmheftes empfiehlt sich also. Rigoroses Zeit-Management ebenfalls.

Eröffnung: Mo, 19 Uhr, mit Gran Paradiso; weitere Termine siehe Programm gegenüberliegende Seite; für Die Wonderboys, The Circle und Brother das Programm der darauffolgenden Woche; wir berichten weiter

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