: Von der Sonne verwöhnt
Die Hamburger Bürgerschaftspräsidentin war gestern zur Lese in ihrem Weinberg – dank pilzresistenter Trauben ■ Von Eberhard Spohd
Es hätte so ein guter Tropfen werden können. Hätten die Trauben für die „2. Hamburger Stintfang Cuvée“ noch ein paar Tage an den Reben bleiben können, wäre das Mostgewicht in ihnen noch erheblich gestiegen. Allein, die Furcht vor Dieben bewog Dorothee Stapelfeldt, die Besitzerin von Hamburgs einzigem Weinberg, bereits gestern mit der Lese zu beginnen.
Die Bürgerschaftspräsidentin herrscht über einen gewaltigen Wingert mit insgesamt 50 Stöcken, die unterhalb der Jugendherberge am Stintfang angebaut wurden. Sie waren ein Geschenk der schwäbischen Winzer, die dafür im Gegenzug alljährlich den Rathausmarkt für ihr Weindorf in Beschlag nehmen dürfen, an die Stadt. Angebaut werden die Rebsorten Phönix und Regent, beides jüngere Neuzüchtungen. Die Regenttraube erhielt ihren Sortenschutz erst 1994, nachdem sie zuvor am Institut Geilwei-lerhof in Siebeldingen in der Pfalz gekreuzt wurde. Beide Sorten zeichnet eine große Pilzresistenz aus, wodurch sie sich vorzüglich für den Anbau in nieselregnerischem Klima eignen.
Der Winzer Fritz Currle vom gleichnamigen Weingut in Stuttgart-Uhlbach, betreute gestern die Lese und bestimmte auch gleich den Gehalt der Trauben: „Um die 80 Grad Öchsle Mostgewicht, das ist genau soviel wie wir in Württemberg auch haben“, dozierte der Fachmann vor der versammelten Presse und hofft, den Wein zu einem Prädikatswein ausbauen zu können: „Ein Kabinett könnte da schon drin sein.“ Kein Wunder bei dieser hervorragenden Lage, steht der Wein doch an einem sonnenbeschienenen Südhang.
Über die Menge wollte sich der Schwabe aber noch nicht auslassen. „Die Trauben stehen sehr gut in Reife, ich denke, weniger als beim letzten Mal wird es nicht werden.“ Vor zwei Jahren konnten aus den paar Rebstöcken immerhin 25 Liter Wein für die HamburgerInnen gekeltert werden. 1997 und 1999 musste die Lese leider ausfallen: Diebe hatten jeweils kurz vor dem Erntezeitpunkt die Trauben geräubert.
Bedauerlich, dass ob solcher Strolche Currle bereits gestern seines Amtes walten musste: „Jeden Tag, den die Trauben länger hätten hängen können, wäre ein Grad Öchsle dazu gekommen“, schätzt der erfahrene Winzer. Aber auch so ist er zufrieden und wird noch heute mit der Kelterung beginnen. Und im nächsten Juni, zu Beginn des Weindorfes wird er Frau Stapelfeldt besuchen, um die 50 Halbliterflaschen Schillerwein, einer typischen schwäbischen Cuvée, zu überreichen.
Überhaupt stellte Currle Hamburg gestern ein gutes Zeugnis aus. „Wenn ich hier leben würde, würde ich hier auch Wein anbauen.“ Sprachs und verschwand wieder in den Reben. Und dankte wohl im Stillen dem Kontaktbereichsbeamten, der in den letzten Woche auf seiner Runde stets auch mit wachem Auge die Trauben vor Mundräubern bewachte.
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