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Milošević ruft zum letzten Gefecht

Die Strategie des Regimes hat sich in zehn Jahren kaum verändert. Neu sind jedoch die aggressiven, hasserfüllten Attacken gegen alle Andersdenkenden

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Der alte Mercedes quietscht bei jedem Schlagloch in den verwahrlosten Straßen Belgrads. Vor der Tankstelle in der Pozeska-Straße im Arbeiterviertel Rakovica steht eine Autoschlange. Warten auf Treibstoff. Ganz in der Nähe zeigt ein Plakat das Foto Slobodan Milošević’ und die Aufschrift: „Unter der Fahne der Freiheit“. Die Miene des jugoslawischen Präsidenten ist trotzig.

Die Ampel springt auf Rot. Der greise Taxifahrer schaut nachdenklich auf seinen Präsidenten. Unvermittelt beginnt er zu fluchen: „Scheiß Sanktionen! Scheiß Nato! Scheiß Verräter!“ Dann dreht er sich um: „Nicht wahr, junger Mann!?“ Der Mann will gar nicht mehr aufhören. Milošević sei der Einzige, der Jugoslawien vor einer Nato-Okkupation retten könne. Ja, man lebe elend, aber die Serben ließen sich nicht unterkriegen. Die Opposition, das sei eine „Bande von Kriminellen, Dieben und Nato-Söldnern“. Die Serben seien nicht dumm. Sie wüssten, dass sie nur mit Milošević eine „würdevolle Zukunft“ hätten.

Gleichgeschaltete Medien

Der Taxifahrer ist einer von vielen. Die Medienoffensive der regierenden „patriotischen Koalition“ ist gewaltig. Alles ist der Wahlkampagne untergeordnet. Während Oppositionspolitiker eine „Kampagne zu Fuß“ von Haus zu Haus führen, erreichen Vertreter des Regimes durch gleichgeschaltete Medien ein Millionenpublikum. Und die Botschaft ist unmissverständlich: Jugoslawien kann nur einen Präsidenten haben: Slobodan Milošević. Alles andere ist undenkbar und würde einem Hochverrat an seiner Regierung gleichkommen.

Das meint auch der Rentner Radoslav Jovanović, Stammgast der Kneipe „Biser“ (Perle) im Viertel Rakovica. „Wir alle sind hier für Slobodan. Er ist ein Volksheld und Staatsmann, der die Interessen der Arbeiterklasse vertritt“, sagt der ehemalige Schlosser. Und die Runde vorwiegend älterer Herren nickt. Die Lage sei zwar schlimm, aber ohne Milošević wäre alles noch viel schlechter.

Der Wirt dreht zur Hauptnachrichtenzeit den Fernseher lauter, und das Gespräch in der Kneipe verstummt. „Unser Volk hat unter den schwersten Lebensbedingungen die Überlegenheit unserer Zivilisation bewiesen, eine einzigartige nationale und menschliche Vitalität“, wendet sich Milošević an das Volk. Und man spürt, wie die Selbstachtung dieser wirtschaftlich ruinierten Belgrader wächst.

Fast zwei Stunden dauert die Tagesschau des staatlichen Fernsehens. Zuerst wird über den „heroischen und sensationellen Wiederaufbau“ des von „Nato-Verbrechern“ zerstörten Landes berichtet. Dann wird Milošević’ Rolle in der Weltpolitik unterstrichen, wird der Präsident als der „Anführer der freiheitsliebenden Welt“ dargestellt, die sich dem „amerikanischen Neonazismus und Neokolonialismus“ widersetze, was auch Europa „schon bald einsehen“ würde. Und dann wird die „so genannte Opposition“ als eine Handvoll „Verräter“ entlarvt, die auf Befehl Washingtons drohe, den Willen des Volkes, das natürlich Milošević wählen werde, wegen „angeblicher Wahlmanipulationen“ nicht zu akzeptieren. Sie wolle „Unruhe stiften“, um Serbien zu „destabilisieren“ und einer Nato-Intervention den Boden zu bereiten.

„Vaterlandsliebe und Heldentum“

Und wie jeden Abend widmet die Tagesschau mindestens 20 Minuten der Jugoslawischen Armee. Einfache Offiziere, die „Helden der Verteidigung während der Nato-Aggression“ im Vorjahr, und Generäle loben die Staatsführung und die „weise“ Politik Milošević’. „Am Wahltag wird die Armee jeglichen Versuch verhindern, der die Macht auf der Straße mit Gewalt erringen will“, erklärte Generalstabschef Nebojša Pavković. Präsident Milošević sei ein „tapferer, entschlossener und fähiger Visionär, der Entscheidungen trifft, wenn Freiheit und Vaterland bedroht sind“.

Die Strategie des seit über einem Jahrzehnt herrschenden serbischen Regimes hat sich kaum verändert. Während der Wahlkampagne wimmelt es nur so von Ausdrücken wie „Freiheit“, „Nationalstolz“, „Vaterlandsliebe und Heldentum“. Was diese Wahlen jedoch von allen anderen unterscheidet, sind die aggressiven, hasserfüllten Attacken nicht nur gegen die Opposition, sondern gegen Andersdenkende generell.

„Die Opposition ist wie die Hexe aus Schneewittchen und die sieben Zwerge: Sie bietet dem Volk einen roten Apfel an, den Nato-Apfel. Der aber ist gar nicht rot, sondern man sieht gleich, dass er faul und vergiftet, zum Verzehr völlig ungeeignet ist“, ließ Milošević’ Gattin, Mira Marković, während ihrer Wahlkampagne an der Spitze der „Jugoslawischen Linken“ den Wähler wissen. Man wisse, wen man zu wählen habe, wer sicher siegen werde. Denn nur Milošević könne den Bürgern Jugoslawiens die Freiheit garantieren. Die anderen wollten Serbien zerstückeln und sich von der Nato okkupieren lassen. Das könne keine anständige Regierung zulassen.

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