Zwischen Albtraum und Normalität

Im Berliner Dom werden Fotos von Kindern im Kosovo gezeigt. Sie dienen kosovo-albanischen Kindern als Vorlage, um über Mord, Zerstörung und Hoffnung und darüber zu erzählen, wie der Krieg den Weg zurück zur Normalität unmöglich macht

von COSIMA SCHMITT

Auf der Schulter prangt das Abzeichen „UÇK“. Doch das Milchgesicht scheint viel zu jung, um einem Soldaten zu gehören. Die Hände umklammern auch kein Gewehr, sondern die Räder eines Rollstuhls. Denn die Beine des Jungen hat eine Mine weggerissen, eine Granate hat die Knochen zersplittert. Der Junge auf dem Foto gehört zu den „Kosovo Kids“, deren Bilder der Fotojournalist Erol Gurian seit gestern im Berliner Dom ausstellt.

Viermal reiste der 35-jährige Münchener ins Kosovo. Dort traf er Kinder in Schulen und in Flüchtlingsheimen und porträtierte den Alltag in einem kriegszerstörten Land. Extrem weit öffnet sich der Blick, denn Gurians Panoramakamera erfasst einen 130-Grad-Winkel – und vermittelt so zwar viele, sehr eindringliche Informationen, schafft aber gleichzeitig die Distanz, die den genauen Blick von Voyeurismus unterscheidet.

Gurian legte die 27 Fotos, die er zwischen August 1999 und September dieses Jahres aufgenommen hat, kosovo-albanischen Kinder vor. Diese erzählen anhand der Bilder von ihrem Leben inmitten zu vieler Toter: Vom Onkel, der als Leiche im Graben schwimmt, vom Vater, der erschossen wird, während die Kinder im Keller zittern. Erol Gurian dokumentiert – gemeinsam mit dem britischen Buchautor Tahir Shah, der die Kinder interviewte – wie der Krieg den Weg zurück in die Normalität verhindert. Er zeigt Häuserskelette, zwischen deren bröckelnden Mauern die Menschen Zigaretten verkaufen. Trauernde junge Mädchen vergraben ihre Augen im Kopftuch. Und in einer schneebedeckten Geröllwüste sind die einzigen Farbtupfer rote und gelbe Plastikblumen – Gedenken an einen UÇK-Kämpfer, von dem nur noch ein Foto, gerahmt wie ein Heiligenbild, blieb.

Warum Erol Gurian in erster Linie Kinder porträtiert hat? „Weil es diejenigen sind, die am meisten verletzt wurden, und die gleichzeitig die größte Hoffnung für das Kosovo sind.“

Die Ausstellung im Berliner Dom ist noch bis zum 13. Oktober täglich ab 9 Uhr, sonntags ab 12 Uhr zu sehen. Letzter Einlass ist 19 Uhr