: Eine Stadionrunde
Sollte Cathy Freeman am Montag Gold im 400-Meter-Lauf gewinnen, würde sich für die australischen Sportfans ein Kreis schließen. Immerhin war es Betty Cuthbert,bis zum Erscheinen Freemans die weitaus populärste Läuferin des fünften Kontinents, die 1964 inTokio den allerersten olympischen400-Meter-Lauf der Frauen gewann.Bis dahin war die Stadionrunde eine Domäne der Männer gewesen.
Cuthbert hatte bereits als Achtzehn-jährige 1956 in Melbourne dreimal Gold gewonnen (100 Meter, 200 Meter, 4x100-Meter-Staffel), inRom 1960 beim Sprint jedoch keine Chance mehr gehabt. Die neu ins Programm genommene Distanz über eine Stadionrunde bot ihr in Tokio Gelegenheit, ihre Karriere mit einem weiteren Olympiasieg zu krönen.Im Finale schlug sie die favorisierteBritin Ann Packer, ihre Zeit betrug52,01 Sekunden.
Nach dem Triumph der Französin Colette Besson (52,03 Sekunden) 1968 in Mexiko-Stadt kam es 1972 in München zum innerdeutschen Duell, das Monika Zehrt (DDR) vor Rita Wilden aus Aachen gewann.
Es folgte die Ära Irena Szewinska. „Ich hatte nie ein Hobby wieBriefmarkensammeln“, sagte diePolin einmal, „ich habe mich auf olympische Medaillen verlegt.“Bei ihren vierten Olympischen Spielen 1976 in Montreal stockte sie dreißigjährig ihre Kollektion mit dem 400-Meter-Gold auf sechs Exemplare auf. Szewinska, studierte Volkswirtin, sitzt heute im Internationalen Olym-pischen Komitee (IOC), und sie war die erste Frau, die über 400 Meter mit 49,29 Sekunden unter 50 Sekunden blieb.
Nach Szewinska begann eine besonders dunkle Zeit der Leicht-athletik, die sich nicht zuletzt beim 400-Meter-Lauf niederschlug. Von den fünfzehn besten Zeiten, die jemals gelaufen wurden, stammen zwölf aus den Achtzigerjahren, lediglich der Endlauf von Atlanta 1996 schaffte es in die Top 15.
Siegerin Marie-José Perec, schon 1992 in Barcelona erfolgreich, schob sich auf der immens schnellen Bahn mit 48,25 Sekunden auf Rang sechs der ewigen Bestenliste, getrieben von der Australierin Cathy Freeman (48,63/11.) und Failat Ogunkoya aus Nigeria (49,10/14.).
Einer der ersten Plätze ist für die Siegerin der (hauptsächlich von den USA und der BRD) boykottierten Spiele 1980 in Moskau reserviert, Marita Koch aus der DDR, deren Weltrekord von 47,60 Sekundennach wie vor gilt. Lediglich die ziemlich wuchtige Tschechoslowakin Jarmila Kratochvilova kam ihr nahe und hält mit 47,99 Sekunden den Vizeweltrekord.
In Kochs boykottbedingter Abwesenheit siegte 1984 in Los Angeles Valerie Brisco-Hooks (USA), 1988 gewann Olga Bryzgina aus der UdSSR, die vier Jahre später von Perec auf Silber verwiesen wurde.
In Sydney schließt sich ein weiterer Kreis. Diesmal ist nicht die Französin, sondern Favoritin Freeman die Gejagte. Und Marie-José Perec,die wegen einer Krankheit lange pausierte, trainierte im Vorfeld der Spiele nicht mehr mit Maurice Greene bei Sprintguru John Smith in Los Angeles. Der Coach, der ihr zum dritten 400-Meter-Gold in Folge verhelfen soll, ist Wolfgang Meier, Ehemann von Marita Koch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen