Kosovo vor den Urnen

Nicht nur albanische Kosovaren kritisieren die überregionalen Wahlen als undemokratisch

aus Priština ERICH RATHFELDER

Ein paar Milošević-Porträts sind auf den Häuserwänden in der serbischen Enklave Gracanica im Kosovo aufgetaucht. Doch Wahlkampfstimmung ist unter den Serben dieser Stadt kaum zu bemerken. Die in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien am Sonntag bevorstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen mögen zwar die Menschen in Serbien selbst aufwühlen – zum ersten Mal könnte Slobodan Milošević eine Wahl verlieren –, hier im Kosovo ticken die Uhren aber anders.

„Wir wünschen uns eine starke Führung, die Kosovo wieder an Serbien anschließt“, sagt Jelena, eine Verkäuferin. „Aber keiner von den Politikern in Belgrad hat uns helfen können, weder Milošević noch die Oppositionellen.“ Mehr als die Wahlen interessiert sie die Frage, wie es mit ihresgleichen vor Ort weitergehen soll, in dieser von Albanern dominierten und unter internationaler Verwaltung stehenden, aber weiterhin völkerrechtlich zu Jugoslawien gehörenden Provinz.

Auch manche politischen Vertreter der rund noch 100.000 im Kosovo lebenden Serben sind nicht begeistert von den Wahlen. Für undemokratisch hält ihre Durchführung in dieser Provinz der in Gracanica residierende orthodoxe Bischof Artemije, der sich in den letzten Jahren der Opposition gegen Milošević angeschlossen hat. Eine Registrierung der Wähler habe es nicht gegeben, demokratische Prozeduren schon gar nicht. Der serbische Kirchenmann prophezeit, Milošević werde durch Wahlmanipulationen Stimmen im Kosovo für sich verbuchen und damit 12 Sitze im Belgrader Parlament dazugewinnen. Im nördlichen Kosovo, zum Beispiel in der zwischen Serben und Albanern geteilten Stadt Mitrovica, wo die Pro-Milošević-Kräfte unter den Serben noch die Oberhand haben, wird der bisherige Präsident aber weiter unterstützt. Seine militanten Anhänger sprengten hier Wahlkampfveranstaltungen des Spitzenkandidaten der Opposition, Vojislav Kostunica.

Der Chef der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo, der Niederländer Daan W. Everts, stimmt Bischof Artemije in dessen Beurteilung der jugoslawischen Wahlen zu: „Sie sind undemokratisch und manipulierbar“, erklärte er gegenüber unserer Zeitung. Die Mission der OSZE werde sie weder überwachen noch logistisch unterstützen. Sie konzentriere sich auf die Durchführung der Kommunalwahlen für das Kosovo, die am 28. Oktober abgehalten werden. „Für uns werden dies die eigentlichen Wahlen hier sein“.

Die überregionalen Wahlen wird die albanische Bevölkerungsmehrheit boykottieren, wie alle vorausgegangenen seit 1989, da sie den jugoslawischen Staat nicht akzeptiert und nach Unabhängigkeit strebt. Blerim Shala, Chefredakteur von Zeri, der zweitgrößten albanischen Tageszeitung des Kosovo, wirft der OSZE und der UN-Mission im Kosovo (Unmik) mangelnde Konsequenz vor. Der durch sein Buch über die Verhandlungen von Rambouillet international bekannte kosovo-albanische Journalist will nicht begreifen, wie diese Institutionen, die doch für die demokratische Entwicklung im Kosovo zuständig sind, derart leicht manipulierbare Wahlen auf überregionaler Ebene zulassen können. Auch innerhalb der internationalen Gemeinschaft selbst mehren sich ähnlich kritische Stimmen.

Andere Beobachter konzentrieren sich mehr auf das mögliche Wahlresultat. Ohne das Feindbild Milošević könnte die internationale Mission im Kosovo ins Wanken geraten, vermuten sie. Bei einem Sieg der serbischen Opposition würden sich in den USA und in Europa Forderungen mehren, die internationale Präsenz im Kosovo zu reduzieren und wieder mehr jugoslawischen Einfluss zuzulassen. Schon kursiert in den Cafés Prištinas der scherzhafte Vorschlag, wie man dies verhindern könnte: Die Albaner sollten bei den Wahlen am 24. September zur Urne schreiten und gerade für ihren Todfeind Milošević stimmen.