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„Ein falscher Zungenschlag“

„Man muss halt aufpassen, dass die Wortwahl nicht dazu führt, dass sich daraus Diskriminierung ergibt“

Interview LUKAS WALLRAFF

taz: Herr Schönbohm, im April sagten Sie, die Koalition in Brandenburg funktioniere und könne komplizierte Situationen bewältigen. Gilt das noch?

Schönbohm: Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Koalition stabil ist, auch wenn es immer wieder kritische Zwischentöne gibt.

„Zwischentöne“ ist gut. Ihr Ministerpräsident Stolpe hat gerade gesagt, die Kritik von Bundestagspräsident Thierse an Ihrer Ausländerpolitik sei berechtigt.

Ich habe mit ihm über das Interview in der Zeit gesprochen, er hat betont, dass er es nicht als Kritik an mir verstanden wissen möchte. Man kann es allerdings so verstehen. Insgesamt sehe ich keinen Gegensatz in den Grundfragen, auch nicht in der Ausländerpolitik.

Ist es kein Gegensatz, wenn Stolpe sagt, man dürfe nicht routinemäßig vorgehen und müsse jeden Fall prüfen, um gerechte Lösungen zu finden?

Es kann sein, dass Herr Stolpe die Sachverhalte im Einzelnen nicht kennt. Ich habe bereits dargelegt, dass meine Mitarbeiter sorgfältig geprüft haben.

Hätten Sie trotzdem im Fall des Guben-Opfers Khaled Bensaha im Nachhinein etwas anders gemacht?

Natürlich, man wird auch klüger. Ich hätte den Brief von Herrn Thierse schneller beantwortet. Dass das nicht ging, lag allerdings auch an meiner urlaubsbedingten Abwesenheit.

Es war ja nicht nur das. Aus Ihrem Hause kam die Formulierung, dass ein Mensch, der hier traumatisiert wurde, nicht geeignet sei, sich zu integrieren.

Dabei handelte es sich um ein Schreiben zwischen meinen Juristen und einem Rechtsanwältinnenbüro, das war kein Bescheid, darauf lege ich Wert. Im Nachhinein hätte ich aber auch da anders geschrieben. Da ist ein falscher Zungenschlag reingekommen, den ich persönlich bedaure und der Brandenburg, glaube ich, geschadet hat. Diese Formulierung war missverständlich.

Gut zu wissen. Aber ist es für die Bewältigung eines Traumas nicht Voraussetzung, dass der Betroffene die Sicherheit hat, dass er hier bleiben darf?

Solange die Traumatisierung behandelt wird, geben wir die Sicherheit, dass er nicht abgeschoben wird. Jetzt geht es darum, ob man sagt, unabhängig davon wird es ein Daueraufenthaltsrecht geben. Das wäre ein Ausnahmetatbestand. Die Stadt Potsdam als zuständige Behörde hat den entsprechenden Antrag gestellt. Ob das geht, wird geprüft.

Ihr Ministerpräsident findet, man dürfe in solchen Fällen nicht nur rein rechtlich argumentieren ...

Humanitäre Gesichtspunkte werden immer mit geprüft – nur: „Humanitär“ wird sehr unterschiedlich gesehen. Ich weiß, dass die Flüchtlingsverbände und ich da eine unterschiedliche Auffassung haben. „Humanitär“ ist ein sehr subjektiver Maßstab. Ich wehre mich aber dagegen, dass die Beamten und die Verwaltung in den Verdacht geraten, alles bürokratisch zu machen. Es gibt Zweifelsfälle, da erwarte ich, dass mir die vorgelegt werden. Es geht aber nicht an, dass alle Verantwortung nach oben verlagert wird.

Was halten Sie von einem automatischen Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt? Stolpe sagt, das hätte was.

Ein automatisches Bleiberecht halte ich für falsch. Ich glaube, dass unser jetziges Instrumentarium genügt. Also, ich habe Vorbehalte gegen pauschale Lösungen. Wir haben Personen mit sehr unterschiedlichen Biografien hier, da kann man nicht pauschal sagen, wer angegriffen wurde, darf bleiben. Man muss auch sehen, dass es unterschiedliche Angriffe gibt – leichte, schwere. Diese Diskussion möchte ich nicht haben.

Für Stolpe wäre ein Bleiberecht eine „Demonstration von Solidarität“.

Ich denke, die Solidarität kann man auch anders demonstrieren, indem man das ganze Thema Opferbetreuung intensiviert. Das tun wir, aber nicht nur bei rechtsradikaler Gewalt.

Halten Sie es angesichts der rechten Gewalt für hilfreich, von „Ausnahmetatbeständen“ und „Asylmissbrauch“ zu sprechen?

Das Thematisieren von Asylmissbrauch kann missverstanden werden. Nur, wenn wir es nicht ansprechen, sprechen es andere an. Und es gibt Asylmissbrauch. Ich glaube, es ist die Aufgabe der Politik, dagegen vorzugehen. Man muss halt aufpassen, dass die Wortwahl nicht dazu führt, dass sich daraus Diskriminierung ergibt.

Werden Sie Ihre Wortwahl ändern?

Das habe ich schon. Ich habe früher manche Dinge etwas härter formuliert, nachdem die weichen Formulierungen keine Wirkung hatten. Das ist aber zurzeit nicht nötig.

Hat diese Zurückhaltung auch mit den Angriffen gegen Sie zu tun? Die kamen ja nicht nur von Thierse, sondern auch von Bischof Huber. Wie hart treffen Sie diese Vorwürfe?

Natürlich perlt das bei mir nicht ab. Mich rief neulich eine Freundin an, die sagte, wenn ich das über dich lese, dann wirst du als ein ganz anderer Mensch geschildert als der, den ich kenne. Wer dich kennt, weiß doch, dass du spontan bist, dass du warmherzig bist. Meine Enkelkinder stellen mir auch Fragen: Wwas bedeutet das eigentlich alles? Was mich trifft, ist, dass man zum Buhmann gemacht wird, wenn man versucht, Dinge durchzusetzen, von denen ich überzeugt bin, dass sie für unser Gemeinwohl richtig sind. Manche Angriffe sind einfach nicht fair, auch nicht die von Bischof Huber. Aber ich weiß, dass ich da keine Fairness zu erwarten habe.

Es gibt neue Äußerungen von Innenminister Schily, der ein Mitspracherecht von Kirchen und humanitären Organisationen bei der Anerkennung von Asylsuchenden erwägt ...

Das können wir bei der Innenministerkonferenz besprechen. Ich möchte wissen, was Herr Schily damit meint. Also, ich glaube, Schily und Schönbohm sind in ihren Positionen nicht weit auseinander. Aber da liegt ein Problem von Schily, dass er versuchen muss, die Fronten irgendwie zu begradigen.

Würden Sie denn ein Mitspracherecht ausschließen?

Ich glaube, dass die Verwaltung in der Lage ist, die Entscheidungen zu treffen. Ein Mitspracherecht würde ich nicht ausschließen, aber ein Mitwirkungsrecht und eine unabhängige Härtefallkommission halte ich nicht für sachgerecht.

Stolpe sagt, Brandenburg sei ein Zuwandererland, das nur durch Toleranz etwas geworden ist. Teilen Sie das?

Stolpe hat das gesagt bezogen auf die Geschichte von Brandenburg. Das ist vollkommen richtig. Die Vorfahren meiner Frau sind beispielsweise Hugenotten. In diesem Sinne stimme ich ihm da zu, ja.

Bei so viel Gemeinsamkeit: Sehen Sie in der Zuwanderungspolitik Chancen für einen Konsens mit dem Bund?

Das halte ich grundsätzlich für möglich, auch weil die Regierung gesagt hat, sie möchte einen Kompromiss.

Würden Sie auf einer Änderung des Asylrechts bestehen?

Ob das Grundgesetz geändert wird, ist zweifelhaft. Wichtig ist vor allem, dass die Verfahren beschleunigt werden.

Glauben Sie, dass Zuwanderung zentrales Wahlkampfthema wird?

Es gibt ein anderes zentrales Thema, das ich für wichtiger halte, nämlich Deutschland in Europa. Das Thema Zuwanderung würde ich im Wahlkampf gerne vermeiden wollen.

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