: „Feinde des baskischen Volkes“
Die ETA-Anschläge und der Straßenkampf der Jugendlichen haben im Baskenland ein Klima der Angst erzeugt. Nur in den Städten regt sich Widerstand
aus San Sebastián REINER WANDLER
Wenn es um die Attentate der ETA geht, muss in Renteria keiner lange überlegen: „Gut so!“, meinen die Jugendlichen einhellig, die sich an diesem Samstag am Ortsrand die Zeit vertreiben. Aus den Boxen dröhnt Musik mit baskischen Texten, im Fernsehen läuft Bambi, einen Joint, reichlich Bier – mehr hat das Gaztetxe (Jugendzentrum) nicht zu bieten. Das müssten die Kids selbst organisieren. Und dazu können sie sich, sechs Monate nachdem der Gemeinderat ihnen den Backsteinbau hinter der Bahnlinie überlassen hat, nicht durchringen. „Die Opfer der ETA-Anschläge sind alles Feinde des baskischen Volkes“, erklärt der Wortführer der Gruppe, ein 18-jähriger Schlosserlehrling, mit fester Stimme. Seinen Namen möchte weder er noch einer seiner Kumpanen nennen: aus „Angst vor Repressalien“.
Auch in Renteria nahe San Sebastián schlug die baskische Separatistenorganisation zu. Mit einer Bombe sprengten ETA-Aktivisten Manuel Zamareneo, einen der beiden Gemeinderäte der in Madrid regierenden Partido Popular (PP), in die Luft. Obwohl ihn die meisten der Jugendlichen hier im Gaztetxe kannten, kommen ihnen keine Zweifel. „Er trat die Rechte der Basken mit Füßen“, erklärt einer von ihnen. „Nur so werden wir zur Unabhängigkeit gelangen“, fügt ein anderer hinzu. Was das ändern würde? „Wenn das Baskenland unabhängig wäre, wäre ich glücklich“, sagt ihr Wortführer.
Helden im Kampf fürs Vaterland
Längst sind viele Jugendliche im Baskenland fest in die Gewaltkampagne gegen öffentliche Einrichtungen, Autos und Wohnungen politischer Gegner eingebunden. „Kale borroka“, Straßenkampf, nennen sie ihre nächtlichen Ausflüge mit Molotowcocktails. „Manchmal passiert auch in Renteria was“, grinsen die Kids vom Jugendzentrum. Renteria ist eine der Hochburgen des linksnationalistischen Lagers um die ETA. Überall im Ort zieren „Hoch lebe die ETA!“-Parolen und Solidaritätsbekundungen mit den über 400 ETA-Gefangenen die Wände; 21 von ihnen kommen aus Renteria. Im Gaztetxe gelten sie als Helden im Kampf für das Vaterland. „Amnestie“ hat jemand an die Wand gesprüht.
Manchmal kommt Abwechslung in die Monotonie im Gaztetxe. Dann kündigen plötzlich überall im Ort Plakate eine der unzähligen Demonstrationen an, mit der das ETA-Umfeld immer wieder Präsenz auf den Straßen zeigt. „Das Baskenland braucht Frieden. Sie sollen gehen“, steht auf dem Transparent zu lesen, das an diesem 16. September den Zug eröffnet. Sie – das sind die spanische Nationalpolizei und die paramilitärische Guardia Civil. Etwa 1.500 Demonstranten, ein buntes Gemisch aus Punks und Familien mit Kinderwagen, ziehen durch die Gassen des alten Ortskerns der 40.000-Einwohner-Stadt. Anlass dieses Mal: In der Nacht zuvor wurde in Frankreich ETA-Führer Inaki Gracia Agirre festgenommen. Er kommt von hier. „Inaki de Renteria“ nennen ihn deshalb die Ermittlungsbehörden.
Nach Erkenntnissen der Polizei befehligte Inaki Gracia Agirre die blutige Kampagne, die seit Ende des Waffenstillstandes im vergangenen Dezember 13 Tote und 30 Verletzte forderte. Für den lokalen Wortführer von Herri Batasuna (HB), dem politischen Arm der ETA, ist Inaki Gracia Agirre „ein ganz normaler baskischer Aktivist, der vor 25 Jahren untertauchen musste“. Auch der Mittvierziger im olivfarbenen Trainingsanzug möchte seinen Namen nicht nennen. „Ich war schon einmal wegen Unterstützung der ETA im Gefängnis“, lautet seine Begründung.
Mit der Gewalt hat auch er keine Probleme. „Der Staat hat sich längst an die toten Polizisten gewöhnt. Deshalb hat die ETA die Schraube ein Stück weiter angezogen und neue Zielgruppen für die Attentate gesucht“, erklärt der HB-Wortführer ruhig und bestimmt, warum gewählte, nicht nationalistische Gemeinderäte mit dem Tod rechnen müssen. „Alle, die es bisher erwischt hat, sprachen dem Baskenland die Existenzberechtigung ab.“
Für Montse Arana, der stellvertretenden Bürgermeisterin von Zumaia, ist die ETA „eine Mafia“. Am 8. August hat auch hier im Küstenort wenige Kilometer weiter westlich die Trauer Einzug gehalten. Der Chef einer ortsansässigen Firma für Kugellager und andere Antriebselemente, Joxe Mari Korta, wurde von einer Autobombe zerfetzt, als er sein Büro verließ. Der Unternehmer war alles andere als ein Feind der Basken. „Er unterstützte die baskische Schule und alle kulturellen und sportlichen Aktivitäten am Ort“, berichtet Montse Arana.
Sie gehört der gemäßigten Baskisch Nationalistischen Partei (PNV) an. Korta sympathisierte mit der politischen Kraft, die im Norden Spaniens während eines 16-monatigen ETA-Waffenstillstandes mit den Stimmen von Herri Batasuna an die Regierung gewählt wurde. Vermutlich musste er sterben, weil er als Vorsitzender des regionalen Unternehmerverbandes seine Kollegen ermunterte, den Erpressungen der ETA nicht nachzugeben und die Zahlung der „Revolutionssteuer“ zu verweigern.
Wer offen redet, wird angefeindet
Als Kortas Angehörige zusammen mit den Arbeitern und Angestellten nach dem Anschlag auf die Straße gingen, ließ die Reaktion der ETA nicht lange auf sich warten. Die Bande sprengte kurzerhand die Diskothek eines Bruders von Korta. Seither reden die Familienangehörigen nicht mehr mit der Presse. Ein Ölfleck, ein paar Blumen und ein Transparent mit der Frage „Hier fehlt Joxe Mari. Warum?“ sind geblieben.
Die ETA-Anschläge und der Straßenkampf der Jugendlichen haben in Zumaia wie überall sonst im Baskenland ein Klima der Angst erzeugt. Nur in den großen Städten wie San Sebastián wollen die Bürger nicht schweigen. Immer vehementer fordern ETA-Gegner „ein gemischtes, zivilisiertes Baskenland“. So stießen in der Nacht nach der Festnahme von „Inaki de Renteria“ erstmals im Zentrum San Sebastiáns ETA-Anhänger und ETA-Gegner direkt aufeinander. Die einen machten ihrem Unmut nach einem weiteren ETA-Attentat, diesmal gegen einen sozialistischen Politiker, Luft. Die anderen demonstrierten gegen „die Repression des spanischen und französischen Staates“.
„Basta ya!“ – „Schluss jetzt!“, hallt es von der einen Seite, „ETA töte sie!“, von der anderen. Dazwischen steht die baskische Polizei. Schild und Knüppel in der Hand, die Gesichter unter dem Helm mit einer Sturmhaube vermummt. Plötzlich kommt der Befehl: „Straße räumen!“ Doch nicht etwa die ETA-Anhänger sind gemeint, sondern die Pazifisten. Sie haben sich spontan versammelt und keine Genehmigung. Die andere Seite hat ihren Marsch voller Hasstiraden angemeldet. „Meinst du, mir macht das hier Spaß?“, stammelt einer der Polizisten, der den Einsatzbefehl selbst nicht glauben kann. Dann greift er zu und schleppt ausgerechnet die Tochter des ETA-Opfers fort, das schwerverletzt im Krankenhaus liegt.
„Das ist absurd“, stammelt Juan Luis, der sich nach einer Auseinandersetzung mit einem Polizisten vom Boden aufgerappelt hat. Der Aktivist einer nicht nationalistischen Gewerkschaft ist mit der ganzen Familie gekommen. „Wir lassen uns das Recht darauf, anders zu denken, nicht nehmen“, sagt der Mittvierziger. Seine Tochter Ane stimmt ihm zu. Die 15-Jährige weiß, was es heißt, Tag für Tag dem Druck fanatischer Altersgenossen ausgesetzt zu sein. „In der Schule kannst du nicht offen reden, da wirst du angefeindet“, erzählt die Gymnasiastin.
„Das Baskenland ist überfremdet“
„Das Gefühl der Unterdrückung ist heute stärker als damals unter Franco“, kritisiert Eduardo Uriarte, einer derjenigen, die einst zur Gründergeneration der ETA gehörten, die Separatisten von heute. Für den 55-Jährigen, der 1970 zu Zeiten des Diktators zusammen mit sechs weiteren Genossen im Schauprozess gegen die ETA in Burgos zum Tode verurteilt wurde, ist die Organisation heute „ eine Bande von Fanatikern, mit faschistischem Anstrich“. Uriarte, der nach dem Übergang Spaniens zur Demokratie zusammen mit vielen anderen ausstieg und sich in die Politik einmischte, gehört jetzt der sozialistischen Partei PSOE an und kämft in seinen Kolumnen in der spanischen Zeitung El País gegen die Gewalt. „Der Bürger macht das Vaterland, es darf ihm nicht aufgedrückt werden“, so Uriarte.
In nur einem halben Jahr hat Uriarte drei enge Freunde zu Grabe getragen. Sie alle wurden von der ETA ermordet. „Ich fühle mich bedroht“, gesteht Uriarte ein. Treffen verabredet er nur an sicheren, geheimen Orten. Dass er sich mal mit den Konservativen auf den gleichen Demonstrationen wiederfinden würde, hätte sich Uriarte nie träumen lassen. „Das Klima der Angst, das die ETA verbreitet“, mache es nicht nur möglich, sondern notwendig, so Uriarte.
Einer derer, die Uriarte auf den Schweigemärschen nach den ETA-Anschlägen immer wieder trifft, ist Gonzalo Quiroga. Der PP-Abgeordnete der zweiten Kammer des spanischen Parlaments, des Senats, ist nie alleine. Ihn begleiten immer zwei Männer. Die Beulen, die ihre Jacken an der Stelle unterm Arm aufweisen, erübrigen die Frage nach ihrem Beruf. „Dem Faschismus der ETA die Stirn bieten, damit wir alle frei sein können.“ Diese Losung hat sich Quiroga zu Eigen gemacht. Elf Gemeinderäte seiner Partei hat die ETA bisher ermordet. Quiroga bekam „einen Hinweis“, wie er es nennt. Im Sommer wurde auf seine Wohnung ein Brandanschlag verübt.
Die PP steigt bei jeder Wahl in der Gunst der Basken. Jüngste Umfragen zeigen: Nach der Rückkehr der ETA zur Gewalt könnten die Konservativen die nationalistische PNV erstmals von ihrem angestammten Platz verdrängen. „Eine historische Chance, die es zu nutzen gilt“, sagt Quiroga. Bei radikalen Nationalisten unter ihnen löst das Hass aus. Renteria ist einer der Orte, in dem die Nationalisten im Gemeinderat bereits ihre Hegemonie verloren haben. Bis vor zwei Jahren regierte hier die ETA-nahe Herri Batasuna. Heute ist ein Sozialist Bürgermeister.
Auch die Jugendlichen im Gaztetxe fangen an zu zweifeln, ob die Entwicklung mit der Ermordung von Gemeinderäten aufzuhalten ist. Sie haben längst einen neuen Schuldigen ausgemacht: die nicht nationalistischen Wähler. „Das Baskenland ist überfremdet. In den letzten 30 Jahren sind hier ganz viele spanische Hungerleider hergekommen, um ein schlaues Leben zu führen. Jetzt wollen sie uns gar vorschreiben, wie wir zu leben haben“, erklärt der Wortführer der Clique. Eine Lösung für das Problem hat er auch: „Wer uns Basken nicht respektiert, der muss gehen.“
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