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Umzug im Zug

Sechzehn Kartons über, unter und auf den Sitzen des Eurocity von Warschau nach Berlin und ein deutscher Zollbeamter. Wie wird er wohl reagieren?

von UWE RADA

In Rzepin wird es ernst. Tina schaut sich um, noch kein Grenzer in Sicht. Marcin schaut aus dem Fenster, trommelt mit den Fingern. Krzysztof grinst. Auf das, was kommt, ist jeder gespannt im Abteil des Wagons 267 im Eurocity „Paderewski“ von Warschau nach Berlin.

Schon hinter Poznań, Krzysztof war gerade eingestiegen, hat es sich angedeutet. Ein polnischer Schaffner wollte zum wiederholten Male die Fahrkarten sehen. Dann die Frage: „Haben Sie für das Gepäck einen Fahrschein?“ Marcin stellt sich dumm. Tina fragt zurück: „Einen Fahrschein?“ Krzysztof lässt seinen Blick durchs Abteil schweifen. Kisten, Kartons, Taschen, überall, auf der Gepackablage, unter den Sitzen, zwischen den Sitzen, auf den Sitzen, sechzehn insgesamt. Selbst für einen polnischen Schaffner der polnischen Staatsbahn PKP ist das kein ganz gewöhnlicher Anblick. „Einen Moment“, hatte der Schaffner gesagt und gedroht, den zuständigen Kollegen zu holen. Marcin blieb gelassen, vielleicht weil er wusste, dass es diesen Kollegen nicht gab.

Aber was ist schon ein polnischer Schaffner gegen einen deutschen Zollbeamten. Auf dem Bahnsteig von Rzepin stehen sie schon bereit: Bundesgrenzschutz, Zoll, ausgestattet mit allem, was den europäischen Binnenmarkt vor der illegalen Einfuhr aus Polen schützen soll: mobile Datenverarbeitung, Schraubenzieher, Taschenlampen, Drogenhunde. Selbst im „EC Paderewski“, von dem man angesichts der vielen Geschäftsleute nicht unbedingt vermutet, dass er zu den polnischen „Schmugglerzügen“ gehört.

„Woll’n wir wetten?“ Tina hat noch am meisten Humor. Nun, die Grenzer haben schon den Nachbarwaggon betreten, ärgert sie sich doch, sich nicht erkundigt zu haben. Ob ein Umzug von Warschau nach Berlin per Eisenbahn legal ist, weiß sie nicht. Also wettet sie lieber. „Eine Stunde, oder zwei?“ „Die halten doch wegen uns den Zug nicht an“, macht sich Marcin Hoffnung. „Dann müsst ihr eben aussteigen mit dem Umzug“, grinst Krzysztof. Tina lässt sich in den Sitz fallen. Draußen tönt eine Stimme. „Guten Tag, deutsche Zollkontrolle!“

Natürlich traut der Zollbeamte seinen Augen nicht. Eine Sekunde oder zwei können ganz schön lang sein, so lange jedenfalls braucht der Grenzer, um seinen Blick vom einen Ende des Abteils bis zum andere schweifen lässt. Dann sagt er: „Was haben wir denn hier?“

Tina sagt: „Mein Zimmer aus Warschau.“ Sie sagt es mit allem Charme, den sie in diesem Moment aufbringen kann, und reicht dem Zollbeamten ihren deutschen Pass. Der Zollbeamte nickt. Marcin reicht ihm den polnischen Pass. Krzysztof will gerade seinen deutschen Ausweis reichen, da klingelt sein Handy: „Słucham“, spricht er leise, als solle es der Zöllner nicht hören.

Doch der Zöllner bleibt beim Thema. Zunächst versucht er, die einzelnen Gepäckstücke den Reisenden zuzordnen. Doch das meiste gehört Tina und Marcin, Krzysztof hat nur eine Plastiktüte bei sich. „Sie gehören zusammen?“, fragt er Tina und Marcin. Beide nicken. „Was befindet sich in den Kartons?“, versucht es der Zollbeamte von neuem. Tina sagt: „Bücher, Stereo-Anlage, Klamotten, alles, was sich so in einem Zimmer befindet.“ Der Zollbeamte: „Haben Sie eine Liste mit den einzelnen Waren?“ „Braucht man die?“ fragt Tina und fügt hinzu: „Keine Waren, Umzugsstücke, ist doch zollfrei, oder?“ „Im Prinzip ja“, sagt der Zollbeamte, „aber nur mit Liste.“

Draußen ruckelt und zuckelt es, wahrscheinlich wird gerade das Fahrgestell des Zugs überprüft. Drinnen im Wagon 267 sagt Tina: „Kann ich die Liste jetzt noch anfertigen?“ Der Zug fährt los. Der Zollbeamte atmet tief durch und sagt: „Lassen Sie mal, aber beim nächsten Umzug, Sie wissen schon.“

Mit einem entwaffnenden Lächeln reicht er Tina und Marcin die Pässe, die Peronalausweisnummer von Krzysztof tippt er in seinen mobilen Computer.

Langsam näher sich der „EC Paderewski“ der Oder. „War’s das?“, fragt Marcin, noch immer ungläubig ob der unerwarteten Lässigkeit eines deutschen Zollbeamten. „Das war’s“, meint Tina. Krzysztof ist noch immer sauer. „Wahrscheinlich hat dem mein Gesicht nicht gepasst“, meint er und beginnt von seinem Job zu erzählen. 230.000 Mark hat der BMW gekostet, den er gerade nach Poznań gebracht hat. „Unfallwagen“, sagt er, „in einer Vertragswerkstatt hätte die Reparatur 35.000 Mark gekostet“. In Polen kostet sie nur 5.000 Mark. Nicht nur der Grenzübertritt wird immer alltäglicher, sondern auch die Grenzökonomie. Krzysztof verteilt seine Karten. „Wenn Ihr mal einen Unfall habt.“

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